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Saeculum

Titel: Saeculum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Poznanski Ursula
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Höhlen!«
    Bastian rannte Sandra hinterher, die auf eine Lücke zwischen den Tannen zusteuerte; dahinter ging es rasch bergab. Ein grell zuckender Blitz tauchte für Sekunden alles in weißes Licht. Der Donner folgte fast unmittelbar. Ein Reißen, ein Krachen, ohrenbetäubend.
    Mit Anstrengung unterdrückte Bastian sein Bedürfnis, tief in den Wald zu laufen und sich flach auf den Boden zu werfen, das wäre falsch, falsch … Ruhe bewahren. Kauern, die Arme um die Beine schlingen. Füße eng zusammenhalten, wie Georg es gesagt hatte. Er war höchstens zehn Meter vom Waldrand entfernt, war das genug? Hinter ihm begann Dickicht, da konnte und wollte er nicht hinein … Wie hoch war diese Fichte neben ihm? Er presste kurz die Augenlider aufeinander. Ruhig bleiben. Das Gewitter würde weiterziehen. Mehr als fünf Minuten dauerte so etwas nicht, bald würden die Donnerschläge leiser und der Himmel heller werden. Das war auszuhalten, ganz sicher.
    Nicht weit von ihm hockte Sandra in der gleichen Position. Sie atmete schwer und Bastian konnte ihre Angst spüren, als wäre es seine eigene. Der Regen fiel jetzt nicht mehr in einzelnen Tropfen, er ergoss sich über das Land wie aus einem riesigen Gefäß. Nicht einmal der mächtige Wald bot Schutz, das Wasser drang durch die Äste und strömte herab, floss über die Stämme, bildete Rinnsale am dunklen Boden.
    Aber es war besser als auf der Lichtung. Sie waren alle wenigstens so weit wie möglich in Sicherheit … nein. Nicht alle.
    Der nächste Blitz schlug in unmittelbarer Nähe ein, mit einem Krachen, als würde die Welt auseinanderbrechen. Die Wiese erstrahlte in blendendem Licht und dort, auf dem höchsten der drei buckeligen Felsen, stand Doro. Sie hatte die Arme ausgebreitet und den Kopf zurückgeworfen. Ihr Haar klebte lang und nass an ihrem ebenso nassen Kleid, doch sie schien nichts davon zu spüren. Sie drehte sich langsam und feierlich im Kreis, als wäre sie Teil einer Zeremonie.
    »Ihr seid zu uns gekommen, ihr Mächte der Natur, des Wassers, des Feuers und der Luft!«, rief sie. Ihre Stimme mischte sich mit dem prasselnden Rauschen des Regens, übertönte es. »Nehmt uns in eure Arme! Gebt mir von eurer Kraft! Schützt uns vor dem Fluch, der auf uns liegt!«
    Wieder ein Blitz, blendend grell, sofort gefolgt von scharfem, nicht enden wollendem Donner. Doro war unversehrt geblieben, diesmal.
    »Doro!«, brüllte Bastian. Er hatte kaum gemerkt, dass er aufgestanden und den Schutz des Waldes verlassen hatte. »Komm da runter! Bist du übergeschnappt?«
    Jemand packte ihn von hinten, es war Sandra. »Bleib da! Du wirst doch nicht ernsthaft deinen Kopf für die Verrückte hinhalten! Bitte!«
    »Aber … das ist irre! Wir müssen ihr helfen.« Er sah sich nach Georg um, nach Ralf oder Steinchen - irgendjemand musste eingreifen! Er sah niemanden, hörte aber undeutliche Warnrufe, die aus dem Wald schallten, doch wer auch immer die Rufenden waren, Doro beachtete keinen von ihnen.
    »Feuer! Wasser! Erde! Luft!«, skandierte sie auf ihrem Felsen.
    Wenn der Blitz sie trifft, laufe ich sofort los. Suche ihren Puls. Reanimiere, wenn nötig. Ich muss schnell sein, dann stehen ihre Überlebenschancen bei fünfzig Prozent. Habe aber nichts, um Verbrennungen steril abzudecken.
    Bastian ging wieder in seine Hockposition und fühlte wachsende Verzweiflung in sich aufsteigen, als er sich die Folgeschäden eines Blitzschlags ins Gedächtnis rief: Herzrhythmusstörungen, Hirnödem, Nierenversagen, die ganze Palette. Dem war er ohnehin nicht gewachsen und das nächste Krankenhaus war so unerreichbar weit weg, dass es genauso gut auf dem Mond hätte sein können.
    Doro tanzte nun auf ihrem Felsen, die Hände hoch in die Luft gestreckt. Wieder ein Blitz, ein Donnerschlag, doch sie zuckte nicht einmal zusammen.
    Als die Abstände zwischen Blitz und Donner endlich größer wurden und die Heftigkeit des Regens nachließ, spürte Bastian seine Beine kaum noch. Er kam nur mit Mühe hoch und stolperte auf die Lichtung, wo Doro nun rücklings ausgestreckt auf dem Felsen lag, als erwarte sie, geopfert zu werden.
    »Bist du völlig bescheuert?« Er schrie sie schon aus mehreren Schritten Entfernung an. »Hast du einen Knall? Weißt du, wie knapp das war und wie tot du jetzt sein könntest?«
    Doro rührte sich nicht, doch als er nahe genug bei ihr war, sah Bastian, dass sie lächelte. Das brachte ihn erst recht zur Weißglut. »Was stimmt denn nicht mit dir?«, schrie er. »Willst du dich

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