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Saeculum

Titel: Saeculum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Poznanski Ursula
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erschienen vor seinem inneren Auge.
    Im gleichen Moment kam das Licht zurück. Paul blickte sie mit mühsam beherrschter Miene über den Steinhaufen hinweg an, auf dem Carina bereits rittlings saß und im Begriff war, auf der anderen Seite hinunterzurutschen.
    »Was hast du denn gefunden?«, fragte Steinchen, gleichzeitig rief Carina: »Wahnsinn!«
    »Wenn ihr wirklich möchtet, dann kommt und schaut es euch selbst an«, sagte Paul. »Obwohl ich nicht sicher bin, dass es eine gute Idee ist.«
    »Warum nicht?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Kann ich schwer erklären. Ich fürchte nur, ein paar von uns werden wieder die falschen Schlüsse ziehen.«
    Ob falsch oder richtig, auf jeden Fall wollte Bastian seine Schlüsse selbst ziehen, bevor jemand auf die Idee kam, ihn davon abzuhalten. Schlimmer als seine Vorstellung konnte es nicht sein. Er vermutete, Iris dachte ähnlich, denn sie war bereits halb über das steinige Hindernis gestiegen.
    Bastian folgte ihr. Die Steine unter seinen Händen fühlten sich scharfkantig an, doch das Hindernis war leichter zu überwinden, als er befürchtet hatte. Dann hatte er sicheren Boden unter den Füßen, blieb stehen und sah sich mit angehaltenem Atem um.
    Der halb verschüttete Korridor führte in eine Halle, einen hohen, länglichen Raum, der von Säulen gestützt wurde. Von hier zweigten weitere Räume ab, manche verfallen, manche gut erhalten. Ihre Mauern waren aus riesigen Steinquadern gebaut, einige Kammern wirkten wie direkt in den Fels gehauen; wie Höhlen, die die Natur gemeinsam mit den Menschen geschaffen hatte. In einem dieser höhlenartigen Räume fanden sich die Reste einer mittelalterlichen Kapelle. Bastian trat näher. Das zerborstene Holz einer Gebetbank, ein kleiner steinerner Altar, darunter lag ein Kerzenleuchter, zugedeckt vom Staub der Jahrhunderte. Gespenstisch.
    Drei Schritte weiter öffnete sich ein weiterer Eingang, der in einen anderen, größeren Raum führte und einmal von einem schweren Tor verschlossen gewesen war, das jetzt in zwei Teile zersprungen am Boden lag.
    Bastian wollte sich den Raum aus der Nähe ansehen, da trat Paul ihm in den Weg. Sein Gesicht war ernst und leuchtete blass im Schein der Fackel. »Geh zurück.«
    »Keine Chance, lass mich vorbei.«
    Paul öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen, doch offenbar fand er nicht die richtigen Worte. Er sah Bastian an, stumm und intensiv, dann trat er beiseite und gab den Blick frei auf den massigen Mauerbogen und das Szenario, das sie dahinter erwartete.

 
    B astian schnappte nach Luft, ohne sofort zu begreifen, was er da sah. Skelette, gekrümmt, mit verrenkten Gliedern, die Waffen, die ihnen aus der Hand geglitten waren, noch in Griffweite oder verkeilt zwischen den Handknochen. Manche von ihnen trugen Reste metallener Rüstungen, auf anderen klebte nicht einmal mehr ein kleiner Fetzen Stoff. Keins der Gerippe sah aus, als hätte man den Verstorbenen behutsam zur Totenruhe gebettet - sie lagen in der gleichen Haltung da, in der sie gestorben waren. Opfer eines lang vergangenen Kampfes. Bastian merkte, dass er aufgehört hatte zu atmen, und sog nun die Luft tief in seine Lunge, während er einen vorsichtigen Schritt näher ging.
    Da waren vier große Steinsärge, auf denen eingemeißelte Figuren kämpfende Ritter und Edelleute bei der Wildschweinjagd zeigten. Ein Wappen fand sich auf allen Särgen wieder: zwei gekreuzte Schwerter und darüber der fliegende Falke, dieser Falke, der sie zu verfolgen schien, das geflügelte böse Omen.
    Särge, dachte Bastian. Steinerne Gräber. Eine Gruft. Die Erinnerung an Pauls Erzählung im Zug schnürte ihm die Luft ab. Rund um die Grabstätten entbrannte ein schauriger Kampf. Die Soldaten stießen ihre Schwerter in die Leiber der Wehrlosen, erstachen sie mit Hellebarden, hieben ihnen die Köpfe ab. Die Wände der Gruft färbten sich rot, der Boden war glitschig vom Blut, die Schreie der Sterbenden hallten bis ins Dorf und raubten den Bewohnern den Schlaf.
    Bastian betrat die Gruft. Das Licht der Fackel flackerte unstet, warf schwankende Schatten auf Wände und Boden. Er setzte seine Füße vorsichtig - das Blut war vor unendlich langer Zeit getrocknet, aber die Vorstellung, auf alte Knochen zu treten, zu fühlen, wie sie zerbarsten, jagte ihm Schauer über den Rücken.
    Eine Axt, die im Schädelknochen eines sehr großen Mannes stecken geblieben war. Ein Schwert, das sich zwischen Rippen verfangen hatte. Ein verdreht liegendes Skelett, dessen rechtes

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