Saeculum
fort. »Solange du möchtest, ohne Verpflichtungen. Du kannst in Köln auf die Musikhochschule gehen, du musst nicht nach Neuseel-«
Ein Rumpeln und ein Aufschrei unterbrachen ihn, ließ alle Köpfe herumfahren. Er klang entfernt, gedämpft, doch voller Panik, da musste etwas passiert sein.
Alma und Mona, dachte Bastian. Ihn fröstelte.
Durch den Gang näherten sich Schritte, jemand schluchzte. Wieder ein kurzer Aufschrei, dann nur noch Wimmern.
Paul reagierte als Erster. Die Fackel in der Hand, setzte er mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung über den Schuttberg, der den Korridor versperrte. Niemand folgte ihm, auch Bastian nicht, obwohl er sich ein wenig dafür schämte.
Vor der Gruft wurde es deutlich düsterer - Georgs Fackel brannte nur noch mit schwacher Flamme.
»Vielleicht etwas mit Arno«, flüsterte Lisbeth.
»Ja, oder es hat sich bloß jemand erschrocken«, mutmaßte Carina. »Muss ja nicht immer gleich was Schlimmes passiert sein.« Sie lächelte zaghaft. »Ich wünschte nur, wir könnten mehr sehen. Diese Dunkelheit macht mich echt nervös.«
»Wir könnten versuchen, ein Feuer zu machen«, meinte Steinchen. »Holz liegt genug herum.«
»Richtig. Eine sehr gute Idee.« Sanft löste Iris sich aus Bastians Umarmung und begann, die Überreste alter Balken aus dem Schutthaufen zu ziehen.
Gemeinsam hatten sie binnen Kurzem einen kleinen Haufen Brennholz aufgestapelt. Die Arbeit tat Bastian gut, sie vertrieb die Gespenster in seinem Kopf und ließ die Angst zurückweichen, so wie es das Meer bei Ebbe tat. Vorläufig. Dann kehrte Pauls Stimme zurück. Leise, drängend, ungläubig. Das Wimmern von eben begleitete sie.
Der Holzstapel war nun zum Anzünden bereit, doch Georg mühte sich vergeblich damit ab, ihn in Brand zu stecken.
»Vielleicht sollten wir alte Knochen als Grillanzünder verwenden«, schlug Steinchen vor. Niemand lachte. Die Toten zu verhöhnen schien im Moment keine gute Idee zu sein. Auch der Gruft den Rücken zu kehren verursachte ihnen Unbehagen.
Immer wieder warf Bastian schnelle Blicke über seine Schulter und fühlte sich dabei wie ein Idiot. Natürlich bewegte sich dort nichts, nicht mal Doro, aber es tat gut, sich zu vergewissern. So ein Unsinn, sie sind tot, von allem, was uns in diesem Wald begegnen kann, sind sie am ungefährlichsten.
Wo blieb Paul? Was tat er so lange? Bastian lauschte auf Schritte, auf Stimmen aus dem Gang, doch nun war es still.
Endlich züngelten kleine Flammen aus dem Holz. Lisbeth hatte einen Streifen von ihrem Rock abgerissen und als Anzünder geopfert, nun stand sie mit dem Rücken zum Feuer da und umschlang sich mit den Armen. Sie wandte sich von jedem Feuer ab, fiel Bastian auf, von jedem. Schon auf dem Mittelaltermarkt hatte er das beobachtet. Als hätte sie Angst vor dem Anblick.
Endlich tat sich etwas, Geräusche kamen näher. Schritte und Jammerlaute. Dann tauchte Paul auf, den Arm um die weinende Alma gelegt.
»Was ist passiert?«
Paul antwortete nicht. Er setzte Alma ans Feuer, jede seiner Bewegungen wirkte, als hätte er Blei in den Gliedern. »Bastian und ich gehen jetzt noch mal zurück zu Arno und den anderen. Dann besprechen wir alles in Ruhe. Es ist wichtig, dass wir alle einen kühlen Kopf bewahren.«
»Wieso denn? Was gibt es zu besprechen? Ist etwas passiert?« In Lisbeths Stimme schwang neue Panik mit, dennoch drehte sie sich nicht zu den anderen um.
»Nichts, es ist -«
»Der Ausgang ist zu!« Die Worte stürzten in einer Mischung aus Keuchen und Kreischen aus Alma heraus. »Der Schacht. Versperrt. Und das Seil ist weg.«
»Was?« Bastians eigene Stimme ging in den Schreckenslauten der anderen unter. »Wieso versperrt? Wie denn? Womit?«
»Das weiß ich nicht«, heulte Alma. »Ein großer Stein wahrscheinlich. Ich habe mich um Arno gekümmert und irgendwann ist mir aufgefallen … dass das Seil fort war. Einfach weg. Und … und dann war da eine Art Donnern und danach waren auch die Regengeräusche weg. Es tropft nicht einmal mehr durch den Schacht.« Sie vergrub das Gesicht in den Armen.
Bastian starrte Paul an und merkte, dass alle anderen das Gleiche taten.
»Es stimmt«, sagte er. Seine Stimme klang plötzlich alt. »Ich habe es mir angesehen, etwas liegt oben auf der Öffnung. Wahrscheinlich ein Felsbrocken.«
»Aber wie kann das sein?«, schrie Georg. Er stürzte auf Alma zu, als wollte er sie schlagen. »Ihr habt etwas mit dem Seil angestellt, ihr habt es losgemacht, oder? Du und Ralf, ihr wart immer schon
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