Sämtliche Dramen
Vorwurf wünscht’ ich auch
Getilgt, indem wir ehrenvoll sie wahren.
Welch ein Verrat an der entführten Herrin,
Schmach euerm hohen Ruhm und Schande mir,
Nun aufzugeben solch ein Eigentum
Nach abgezwungenem Vergleich? Wär’s möglich,
Daß so entartete Gesinnung je
Den Eingang fänd’ in eure edlen Herzen?
Auch dem Geringsten nicht in unserm Volk
Fehlt Mut, zu wagen und das Schwert zu ziehn
Für Helena; und kein so Edler ist,
Des Lebens wär’ zu teu’r, des Tod unrühmlich,
Ist Helena der Preis. Deshalb beteur’ ich,
Wohl ziemt es sich, im Kampfe nicht zu weichen
Für die, der auf der Welt nichts zu vergleichen! –
Hektor
.
Paris und Troilus, beide spracht ihr gut,
Und habt erörtert Frag’ und Stand des Streits,
Doch oberflächlich – nicht ungleich der Jugend,
Die Aristoteles unfähig hielt
Zum Studium der Moralphilosophie.
Die Gründe, die ihr vortragt, leiten mehr
Zu heißer Leidenschaft des wilden Bluts,
Als die Entscheidung frei und klar zu schlichten,
Was Recht und Unrecht. Denn die Rach’ und Wollust
Sind tauber als der Ottern Ohr dem Ruf
Wahrhaften Urteils! Die Natur verlangt
Erstattung jedes Guts dem Eigner: nun,
Wo wär’ in aller Menschheit näh’res Anrecht,
Als zwischen Mann und Eh’frau? Wird ein solches
Naturgesetz verletzt durch Leidenschaft,
Und große Geister, dem betäubten Willen
Zu leicht sich fügend, widerstreben ihm,
So gibt’s in jedem Volksrecht ein Gesetz
Als Zügel solcher wütenden Begierden,
Die in Empörung alle Schranken brechen.
Ist Helena des Sparterkönigs Weib, –
Wie sie’s denn ist, – so ruft Moralgesetz
Des Staats wie der Natur, mit lauter Stimme,
Sie ihm zurück zu senden. Fest beharren
Im Unrecht tun, vermindert Unrecht nicht,
Nein, macht es schwerer. Dies ist Hektors Meinung,
Wenn er das Recht erwägt. Gleichwohl indes,
Ihr feur’gen Brüder, neig’ ich mich zu euch
In dem Entschluß, nicht Helena zu lassen.
Denn wicht’gen Einfluß hat des Streits Entscheidung
Auf aller so wie jedes Einzlen Ruhm.
Troilus
.
Ja, das ist unsres Trachtens Kraft und Inhalt.
Wär’s nicht die Ehre, die uns mehr entflammt,
Als unserm schwell’nden Groll genug zu tun, –
Nicht einen Tropfen Troerblut mehr wollt’ ich
Für sie vergeudet sehn. Doch, tapfrer Hektor,
Sie ist ein Gegenstand für Her’ und Ruhm,
Ein Sporn zu tapfrer, hochbeherzter Tat,
Gibt jetzt uns Mut, die Feinde zu vernichten,
Und für die Zukunft Preis, der uns verklärt.
Denn, weiß ich doch, Held Hektor gäbe nicht
So reichen Vorteil der verheißnen Glorie,
Wie sie auf dieses Kampfes Stirn uns lächelt,
Für alles Gold der Welt.
Hektor
.
Wohl hast du recht,
Du tapfrer Sproß des großen Priamus.
Ich sandte schon aufreizend Fehdewort
Den trägen und entzweiten Griechenfürsten,
Das ihre Schlummergeister wecken wird.
Wie ich vernommen, schläft ihr bester Held;
Neid und Parteiung schleichen durch das Feld:
Dies, hoff’ ich, regt ihn auf.
Sie gehn ab.
¶
Dritte Szene
Das griechische Lager.
Thersites tritt auf.
Thersites
. Wie nun, Thersites? Ganz verloren im Labyrinth deines Grimms? Soll’s der Elefant Ajax so davon tragen? Er schlägt mich, und ich schimpfe auf ihn: oh, schöne Genugtuung! Ich wollte, es stände umgekehrt, und ich könnte ihn schlagen, während er auf mich schimpft! – Blitz, ich will Teufel bannen und beschwören lernen, damit ich doch irgendeine Frucht meiner zornigen Verwünschungen sehe. – Dann, dieser Achilles! Der ist mir ein trefflicher Ingenieur! Wenn Troja nicht eh’r genommen wird, bis diese beiden es untergraben, so mögen die Mauern stehn, bis sie von selbst einfallen. O du großer Donnerschleud’rer des Olymp, vergiß, daß du Jupiter, der Götterkönig, bist; und du, Merkur, verliere alle Schlangenkraft deines Caduceus, wenn ihr ihnen nicht das kleine, kleine, weniger als kleine Körnchen Verstand nehmt, das sie haben; von dem die kurzarmige Dummheit selbst einsieht, es sei so übermäßig winzig, daß es nicht so viel Umsicht haben wird, eine Fliege vor einer Spinne zu retten, ohne das plumpe Schlachtschwert zu ziehn und das Gewebe zu durchhauen. Hiernächst wünsch’ ich dem ganzen Lager die Pestilenz, oder besser das Knochenweh: denn der Fluch, dünkt mich, sollte denen folgen, welche um einen Unterrock Krieg führen. Das ist mein Gebet, und der Teufel Bosheit spreche das Amen. Heda! Holla! Fürst Achilles! –
Patroklus tritt auf.
Patroklus
. Wer da, Thersites? Lieber Thersites, komm
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