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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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in so hohem Grade, daß man ihn von allen verdienstlichen Unternehmungen, d.h. von allen Unternehmungen, woran etwas verdient wird, wie einen Misselsüchtigen ausschließt. Auch von dem letzten emprunt hat man ihm nichts zufließen lassen, und auf Beteiligung bei neuen Eisenbahn-Entreprisen muß er gänzlich verzichten, seitdem er bei der Versailler Eisenbahn der rive gauche eine so klägliche Schlappe erlitten und seine Leute in so schreckliche Verluste hineingerechnet hat. Keiner will mehr etwas von ihm wissen, jeder stößt ihn zurück, und sogar sein einziger Freund (der, beiläufig gesagt, ihn nie ausstehen konnte), sogar sein Jonathan, der Stockjobber Läusedorf, verläßt ihn und läuft jetzt beständig hinter dem Baron Mecklenburg einher und kriecht demselben fast zwischen die Rockschöße hinein. – Beiläufig bemerke ich ebenfalls, daß genannter Baron Mecklenburg, einer unserer eifrigsten Agioteure und Industriellen, keineswegs ein Israelite ist, wie man gewöhnlich glaubt, weil man ihn mit Abraham Mecklenburg verwechselt oder weil man ihn immer unter den Starken Israels sieht, unter den Krethi und Plethi der Börse, wo sie sich um ihn versammeln; denn sie lieben ihn sehr. Diese Leute sind keine religiösen Fanatiker, wie man sieht, und ihr Unmut gegen den armen Leo ist daher keinen intoleranten Ursachen beizumessen; sie grollen ihm nicht wegen seiner Abtrünnigkeit von der schönen jüdischen Religion, und sie zuckten nur mitleidig die Achsel über die schlechten Religionswechselgeschäfte des armen Leo, der in dem protestantischen Bethaus der Rue des Billettes jetzt das Amt eines Marguilliers versieht – das ist gewiß ein bedeutendes Ehrenamt, aber ein Mann wie August Leo wäre mit der Zeit auch in der Synagoge zu großen Würden emporgestiegen, man hätte vielleicht bei Beschneidungsfeierlichkeiten das Kind, dem die Vorhaut abgeschnitten wird, oder das Messerchen, womit solches geschieht, seinen Händen anvertraut, oder man hätte ihn auch bei Lesung der Thora mit den kostspieligsten Tageswürden überhäuft, ja, da er sehr musikalisch ist und gar für Kirchenmusik soviel Sinn besitzt, wäre ihm vielleicht am Neujahrsfeste der jüdischen Kirche das Blasen mit dem Schofar, dem heiligen Horne, zuteil geworden. Nein, er ist nicht das Opfer eines religiösen oder moralischen Unwillens starrköpfiger Pharisäer, es sind nicht Fehler des Herzens, welche dem armen Leo zur Last gelegt werden, sondern Rechnungsfehler, und verlorene Millionen verzeiht selbst kein Christ. Aber habt doch endlich Erbarmen mit dem armen Gefallenen, mit der gesunkenen Größe, nehmt ihn wieder auf in Gnaden, laßt ihn wieder teilnehmen an einem guten Geschäfte, gönnt ihm einmal wieder einen kleinen Profit, woran sich sein gebrochenes Herz erlabe, date obolum Belisario – gebt einen Obolus einem Belisar, der zwar kein großer Feldherr, aber blind gewesen und nie im Leben irgendeinem Bedürftigen einen Obolus gegeben hat!
    Auch patriotische Gründe gibt es, welche die Erhaltung des armen Leo wünschenswert machen. Gekränktes Selbstgefühl und die großen Verluste nötigen, wie ich höre, den einst so wohlhabenden Mann, das sehr teure Paris zu verlassen und sich auf das Land zurückzuziehen, wo er, wie Cincinnatus, seinen selbstgepflanzten Kohl verspeisen oder, wie einst Nebukadnezar, auf seinen eigenen Wiesen grasen kann. Das wäre nun ein großer Verlust für die deutsche Landsmannschaft. Denn alle deutsche Reisende zweiten und dritten Ranges, die hierher nach Paris kamen, fanden im Hause des Herrn Leo eine gastliche Aufnahme, und manche, die in der frostigen Franzosenwelt ein Unbehagen empfanden, konnten sich mit ihrem deutschen Herzen hierher flüchten und mit gleichgesinnten Gemütern wieder heimisch fühlen. An kalten Winterabenden fanden sie hier eine warme Tasse Tee, etwas homöopathisch zubereitet, aber nicht ganz ohne Zucker. Sie sahen hier Herrn von Humboldt, nämlich in effigie an der Wand hängend, als Lockvogel. Hier sahen sie den Nasenstern in natura. Auch eine deutsche Gräfin fand man hier. Es zeigten sich hier auch die vornehmsten Diplomaten von Krähwinkel, nebst ihren kräh- und schiefwinklichten Gemahlinnen. Hier hörte man mitunter sehr ausgezeichnete Klavierspieler und Geiger, neuangekommene Virtuosen, die von Seelenverkäufern an das Haus Leo empfohlen worden und sich in seinen Soireen musikalisch ausbeuten ließen. Es waren die holden Klänge der Muttersprache, sogar der Großmuttersprache, welche hier den

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