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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Deutschen begrüßten. Hier ward die Mundart des Hamburger Dreckwalls am reinsten gesprochen, und wer diese klassischen Laute vernahm, dem ward zumute, als röche er wieder die Twieten des Mönckedamms. Wenn aber gar die »Adelaide« von Beethoven gesungen wurde, flossen hier die sentimentalsten Tränen! Ja, jenes Haus war eine Oase, eine sehr aasige Oase deutscher Gemütlichkeit in der Sandwüste der französischen Verstandswelt, es war eine Lauberhütte des traulichsten Cancans, wo man ruddelte wie an den Ufern des Mains, wo man klingelte wie im Weichbilde der hil’gen Stadt Köln, wo dem vaterländischen Klatsch manchmal auch zur Erfrischung ein Gläschen Bier beigesellt ward – deutsches Herz, was verlangst du mehr? Es wäre jammerschade, wenn diese Klatschbude geschlossen würde.
LVIII
    Paris, 6. Mai 1843
    Die kostbare Zeit wird leichtsinnig verzettelt. Ich sage die kostbare Zeit, und ich verstehe darunter die Friedensjahre, die uns durch die Regierung Ludwig Philipps verbürgt sind. An dem Lebensfaden desselben hängt die Ruhe Frankreichs, und der Mann ist alt, und unerbittlich ist die Schere der Parze. Statt diese Zeit zu benutzen und den Knäuel der innern und äußern Mißverständnisse zu entwirren, sucht man die Verwickelungen und Schwierigkeiten noch zu steigern. Nichts als geschminkte Komödie, und Ränke hinter den Kulissen. Durch dieses Kleintreiben kann Frankreich wirklich an den Rand des Abgrunds geraten. Die Wetterfahnen verlassen sich auf ihr berühmtes Talent der Vielseitigkeit in der Bewegung; sie fürchten nicht die ärgsten Stürme, da sie immer verstanden, sich nach jedem Luftzug zu drehen. Ja, der Wind kann euch nicht brechen, denn ihr seid noch beweglicher wie der Wind. Aber ihr bedenkt nicht, daß ihr trotz eurer windigen Versatilität dennoch kläglich aus eurer Höhe herabpurzelt, wenn der Turm niederstürzt, auf dessen Spitze ihr gestellt seid! Fallen müßt ihr mit Frankreich, und dieser Turm ist untergraben, und im Norden hausen sehr böswillige Wettermacher. Die Schamanen an der Newa sind in diesem Augenblick nicht in der Ekstase des Sturmbeschwörens; aber hier hängt doch alles von Laune ab, von der absoluten Laune erhabenster Willkür. Wie gesagt, mit dem Ableben Ludwig Philipps verschwindet alle Bürgschaft der Ruhe; dieser größere Hexenmeister hält die Stürme gebunden durch seine geduldige Klugheit. Wer ruhig schlafen will, muß in seinem Nachtgebet den König von Frankreich allen Schutzengeln des Lebens empfehlen.
    Guizot wird sich noch geraume Zeit halten, was gewiß wünschenswert, da eine ministerielle Krisis immer mit unvorhergesehenen Fatalitäten verbunden ist. Ein Ministerwechsel ist bei den veränderungsüchtigen Franzosen vielleicht ein Surrogat für den periodischen Dynastienwechsel. Aber diese Umwälzungen im Personal der höchsten Staatsbeamten sind darum nicht minder ein Unglück für ein Land, das mehr als jedes andere der Stabilität bedürftig ist. Wegen ihrer prekären Stellung können die Minister sich in keine weitausgreifende Plane einlassen, und der nackte Erhaltungstrieb absorbiert alle ihre Kräfte. Ihr schlimmstes Mißgeschick ist nicht sowohl ihre Abhängigkeit vom königlichen Willen, der meistens verständig und heilsam ist, sondern ihre Abhängigkeit von den sogenannten Konservativen, jenen konstitutionellen Janitscharen, welche hier nach Laune die Minister absetzen und einsetzen. Erregt einer derselben ihre Ungnade, so versammeln sie sich in ihren parlamentarischen Ortas und pauken los auf ihre Kessel. Die Ungnade dieser Leute entspringt aber gewöhnlich aus wirklichen Suppenkesselinteressen: sie sind es nämlich, welche in Frankreich eigentlich regieren, indem kein Minister ihnen etwas verweigern darf, keinerlei Amt oder Vergünstigung, weder ein Konsulat für den ältesten Sohn ihres Herrn Schwagers noch ein Tabaksprivilegium für die Witwe ihres Portiers. Es ist unrichtig, wenn man von dem Regiment der Bourgeoisie im allgemeinen spricht, man sollte nur von dem Regimente der konservativen Deputierten reden; diese sind es, welche das jetzige Frankreich ausbeuten, in ihrem Privatinteresse, wie einst der Geburtsadel. Letzterer ist von der konservativen Partei keineswegs bestimmt gesondert, und wir begegnen manchem alten Namen unter den parlamentarischen Tagesherrschern. Der Name »Konservative« ist aber eigentlich ebenfalls keine richtige Bezeichnung, da es gewiß nicht allen, die wir solchermaßen benamsen, um die Konservation der politischen

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