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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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gewinnt, nicht auch dem schnellen Wechsel der Mode unterworfen sein? Ist diese Röte ein Zeichen der Gesundheit? … »Der liebe Gott hat heute viel Besuche«, sagte ich vorigen Sonntag zu einem Freunde, als ich den Zudrang nach den Kirchen bemerkte. »Es sind Abschiedsvisiten« – erwiderte der Ungläubige.
    Die Drachenzähne, welche von Republikanern und Legitimisten gesäet werden, kennen wir jetzt, und es wird uns nicht überraschen, wenn sie einst als geharnischte Kämpen aus dem Boden hervorstürmen und sich untereinander würgen oder auch miteinander fraternisieren. Ja, letzteres ist möglich, gibt es doch hier einen entsetzlichen Priester, der, durch seine blutdürstigen Glaubensworte, die Männer des Scheiterhaufens mit den Männern der Guillotine zu verbinden hofft.
    Unterdessen sind alle Augen auf das Schauspiel gerichtet, das auf Frankreichs Oberfläche, durch mehr oder minder oberflächliche Akteure, tragiert wird. Ich spreche von der Kammer und dem Ministerium. Die Stimmung der ersteren sowie die Erhaltung des letzteren ist gewiß von der größten Wichtigkeit, denn der Hader in der Kammer könnte eine Katastrophe beschleunigen, die bald näher, bald ferner zu treten scheint. Einem solchen Ausbruch so lange als möglich vorzubeugen ist die Aufgabe unserer jetzigen Staatslenker. Daß sie nichts anders wollen, nichts anders hoffen, daß sie die endliche »Götterdämmerung« voraussehen, verrät sich in allen ihren Handlungen, in allen ihren Worten. Mit fast naiver Ehrlichkeit gestand Thiers in einer seiner letzten Reden, wie wenig er der nächsten Zukunft traue und wie man von Tag zu Tag sich hinfristen müsse; er hat ein feines Ohr und hört schon das Geheul des Wolfes Fenris, der das Reich der Hela verkündigt. Wird ihn die Verzweiflung über das Unabwendbare nicht mal plötzlich zu einer allzu heftigen Handlung hinreißen?
V
    Paris, den 30. April 1840
    Gestern abend, nach langem Erwarten von Tag zu Tag, nach einem fast zweimonatlichen Hinzögern, wodurch die Neugier, aber auch die Geduld des Publikums überreizt wurde – endlich gestern abend ward »Cosima«, das Drama von George Sand, im Théâtre Français aufgeführt. Man hat keinen Begriff davon, wie seit einigen Wochen alle Notabilitäten der Hauptstadt, alles, was hier hervorragt durch Rang, Geburt, Talent, Laster, Reichtum, kurz, durch Auszeichnung jeder Art, sich Mühe gab, dieser Vorstellung beiwohnen zu können. Der Ruhm des Autors ist so groß, daß die Schaulust aufs höchste gespannt war; aber nicht bloß die Schaulust, sondern noch ganz andere Interessen und Leidenschaften kamen ins Spiel. Man kannte im voraus die Kabalen, die Intrigen, die Böswilligkeiten, die sich gegen das Stück verschworen und mit dem niedrigsten Metierneid gemeinschaftliche Sache machten. Der kühne Autor, der durch seine Romane bei der Aristokratie und bei dem Bürgerstand gleich großes Mißfallen erregte, sollte für seine »irreligiösen und immoralischen Grundsätze« bei Gelegenheit eines dramatischen Debüts öffentlich büßen; denn, wie ich Ihnen dieser Tage schrieb, die französische Noblesse betrachtet die Religion als eine Abwehr gegen die herandrohenden Schrecknisse des Republikanismus und protegiert sie, um ihr Ansehen zu befördern und ihre Köpfe zu schützen, während die Bourgeoisie durch die antimatrimonialen Doktrinen eines George Sand ebenfalls ihre Köpfe bedroht sieht, nämlich bedroht durch einen gewissen Hornschmuck, den ein verheirateter Bürgergardist ebensogern entbehrt, wie er gern mit dem Kreuze der Ehrenlegion geziert zu werden wünscht.
    Der Autor hatte sehr gut seine mißliche Stellung begriffen und in seinem Stück alles vermieden, was die adeligen Ritter der Religion und die bürgerlichen Schildknappen der Moral, die Legitimisten der Politik und der Ehe, in Harnisch bringen konnte; und der Vorfechter der sozialen Revolution, der in seinen Schriften das Wildeste wagte, hatte sich auf der Bühne die zahmsten Schranken gesetzt, und sein nächster Zweck war, nicht auf dem Theater seine Prinzipien zu proklamieren, sondern vom Theater Besitz zu nehmen. Daß ihm dies gelingen könne, erregte aber eine große Furcht unter gewissen kleinen Leuten, denen die angedeuteten religiösen, politischen und moralischen Differenzen ganz fremd sind und die nur den gemeinsten Handwerksinteressen huldigen. Das sind die sogenannten Bühnendichter, die in Frankreich ebenso wie bei uns in Deutschland eine ganz abgesonderte Klasse bilden und wie mit der

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