Sämtliche Werke
eigentlichen Literatur selbst, so auch mit den ausgezeichneten Schriftstellern, deren die Nation sich rühmt, nichts gemein haben. Letztere, mit wenigen Ausnahmen, stehen dem Theater ganz fern, nur daß bei uns die großen Schriftsteller mit vornehmer Geringschätzung sich eigenwillig von der Bretterwelt abwenden, während sie in Frankreich sich herzlich gern darauf produzieren möchten, aber durch die Machinationen der erwähnten Bühnendichter von diesem Terrain zurückgetrieben werden. Und im Grunde kann man es den kleinen Leuten nicht verdenken, daß sie sich gegen die Invasion der Großen soviel als möglich wehren. »Was wollt ihr bei uns«, rufen sie, »bleibt in eurer Literatur und drängt euch nicht zu unsern Suppentöpfen! Für euch der Ruhm, für uns das Geld! Für euch die langen Artikel der Bewunderung, die Anerkenntnis der Geister, die höhere Kritik, die uns arme Schelme ganz ignoriert! Für euch der Lorbeer, für uns der Braten! Für euch der Rausch der Poesie, für uns der Schaum des Champagners, den wir vergnüglich schlürfen in Gesellschaft des Chefs der Claqueure und der anständigsten Damen. Wir essen, trinken, werden applaudiert, ausgepfiffen und vergessen, während ihr in den Revuen ›beider Welten‹ gefeiert werdet und der erhabensten Unsterblichkeit entgegenhungert!«
In der Tat, das Theater gewährt jenen Bühnendichtern den glänzendsten Wohlstand; die meisten von ihnen werden reich, leben in Hülle und Fülle, statt daß die größten Schriftsteller Frankreichs, ruiniert durch den belgischen Nachdruck und den bankerotten Zustand des Buchhandels, in trostloser Armut dahindarben. Was ist natürlicher, als daß sie manchmal nach den goldenen Früchten schmachten, die hinter den Lampen der Bretterwelt reifen, und die Hand darnach ausstrecken, wie jüngst Balzac tat, dem solches Gelüst so schlecht bekam! Herrscht schon in Deutschland ein geheimes Schutz- und Trutzbündnis zwischen den Mittelmäßigkeiten, die das Theater ausbeuten, so ist das in weit schnöderer Weise der Fall zu Paris, wo all diese Misere zentralisiert ist. Und dabei sind hier die kleinen Leute so aktiv, so geschickt, so unermüdlich in ihrem Kampf gegen die Großen und ganz besonders in ihrem Kampf gegen das Genie, das immer isoliert steht, auch etwas ungeschickt ist und, im Vertrauen gesagt, auch gar zu träumerisch träge ist.
Welche Aufnahme fand nun das Drama von George Sand, des größten Schriftstellers, den das neue Frankreich hervorgebracht, des unheimlich einsamen Genius, der auch bei uns in Deutschland gewürdigt worden? War die Aufnahme eine entschieden schlechte oder eine zweifelhaft gute? Ehrlich gestanden, ich kann diese Frage nicht beantworten. Die Achtung vor dem großen Namen lähmte vielleicht manches böse Vorhaben. Ich erwartete das Schlimmste. Alle Antagonisten des Autors hatten sich ein Rendezvous gegeben in dem ungeheuren Saale des Théâtre Français, der über zweitausend Personen faßt. Etwa einhundertvierzig Billette hatte die Administration zur Verfügung des Autors gestellt, um sie an die Freunde zu verteilen; ich glaube aber, verzettelt durch weibliche Laune, sind davon nur wenige in die rechten, applaudierenden Hände geraten. Von einer organisierten Claque war gar nicht die Rede; der gewöhnliche Chef derselben hatte seine Dienste angeboten, fand aber kein Gehör bei dem stolzen Verfasser der »Lélia«. Die sogenannten Römer, die in der Mitte des Parterres unter dem großen Leuchter so tapfer zu applaudieren pflegen, wenn ein Stück von Scribe oder Ancelot aufgeführt wird, waren gestern im Théâtre Français nicht sichtbar.
Über die Darstellung des bestrittenen Dramas kann ich leider nur das Schlimmste berichten. Außer der berühmten Dorval, die gestern nicht schlechter, aber auch nicht besser als gewöhnlich spielte, trugen alle Akteure ihre monotone Mittelmäßigkeit zur Schau. Der Hauptheld des Stücks, ein Monsieur Beauvallet, spielte, um biblisch zu reden, »wie ein Schwein mit einem goldenen Nasenring«. George Sand scheint vorausgesehn zu haben, wie wenig sein Drama, trotz aller Zugeständnisse, die er den Kapricen der Schauspieler machte, von den mimischen Leistungen derselben zu erwarten hatte, und im Gespräch mit einem deutschen Freunde sagte er scherzhaft: »Sehen Sie, die Franzosen sind alle geborne Komödianten, und jeder spielt in der Welt mehr oder minder brillant seine Rolle; diejenigen aber unter meinen Landsleuten, die am wenigsten Talent für die edle
Weitere Kostenlose Bücher