Saemtliche Werke von Jean Paul
einen Augenblick« – sagte er und wandte sich halb um – »ich muß mich nur dort ein bißchen an die Haselstaude stellen, will aber gleich wieder da sein und auch auf meiner Seite den Herrn Doktor mit tausend Freuden umarmen.« – Aber Horion verstand den Unwillen der Liebe, er flog aus des Sohnes Armen in die des Vaters und verweilte lange darin und machte alles wieder gut.
Mit befriedigter Liebe, mit tanzenden Herzen, mit schwelgenden Augen, unter dem aufgeblühten Himmel und über den Schmuck der Erde – denn der Frühling hatte sein Schmuckkästchen aufgeschlossen und blühende Juwelen in alle Täler und auf alle Hügel und bis weit an die Berge geworfen – wandelten beide selig dahin, und die britische Hand preßte die deutsche. Sebastian Horion konnte nichts sagen zu Flamin, aber er sprach mit dem Vater, und jeder gleichgültige Laut machte den mit Blut und Liebe überhäuften Busen freier.
Die drei Regimenter hatte jeder aus dem Kopfe verloren; aber sie waren selber dem Generalfeldmarschall gehorsam nachmarschiert. Sebastian, zu menschenfreundlich, um jemand zu vergessen, drehte sich gegen den Nachtrab von kleinen Ohnehosen herum, die nicht aus Paris, sondern aus Flachsenfingen waren und als bettelnde Soldatenkinder ihn begleitet hatten: »Meine Kinder,« (sagt’ er und sah nichts an als sein stehendes Heer) »heute ist für euren Generalissimus und euch der merkwürdige Tag, wo er drei Dinge tut – Ich dank’ euch erstlich ab, aber meine Reduktion soll euch so wenig wie eine fürstliche hindern, zu betteln – zweitens bezahl’ ich euch den rückständigen Sold von drei Jahren, nämlich jedem Offizier das Traktement von zwei Siebzehnern, weil man jetzo die Gage erhöhet hat – drittens lauft morgen wieder her, ich lasse den sämtlichen Regimentern Hosen anmessen.«
Er kehrte sich gegen den Kaplan und sagte: »Man sollte lieber Sachen verschenken als Geld, denn die Dankbarkeit für dieses wird zugleich mit diesem ausgegeben, aber in einem Paar verehrten Hosen hält der Dank so lang wie sein Überzug selber.«
Das Schlimme dabei wird nur sein, daß der flachsenfingische Fürst und sein Kriegkollegium sich zuletzt in die Hosen mengen, da beide unmöglich verstatten können, daß regelmäßige Truppen mehr auf als in dem Leibe haben, nämlich etwas. In unsern Tagen sollt’ es endlich dem dümmsten Montierung- und Proviantkommissar einleuchten – aber in der Tat gibt es kluge –, 1) daß unter zwei Soldaten der hungrige stets dem satten vorzuziehen sei, weil schon von ganzen Völkern bekannt ist, daß sie desto tapferer sind, je weniger sie haben – 2) daß, so wie in Blotzheim unter zwei gleich tugendhaften Jünglingen der ärmere gekrönt wird, ebenso der arme Untertan billig dem reichen trotz aller gleichen Tapferkeit dennoch vorgezogen und allein angeworben werde, weil der arme Teufel besser mit Hunger und Frost bekannt ist – daß 3) jetzt, da auf allen Stufen des Throns wie auf Wällen Kanonen stehen (wie die Sonne ihren Glanz von tausend speienden Vulkanen empfängt) und da in einem guten Staate das männliche Stammholz zu Ladstöcken abgetrieben wird, das Volk mit Nutzen in zweierlei Hausarme zerfalle, in beschützte und in schützende – Und 4) soll der Teufel den holen, der murrt. –
Als meine drei geliebten Menschen endlich vor der Kaplanei ankamen, war das ganze aufgelöste Heer ihnen heimlich nachgerückt und wollte die Hosen. Aber noch etwas Größeres war ihnen aus Flachsenfingen nachgefahren – der blinde Lord. Kaum hatte den jungen Gast die Britin nicht höflich, sondern freudig hereingelächelt, kaum hatte Agathe zum erstenmal ernsthaft sich hinter die Mutter, und die alte Appel sich hinter die Kochtöpfe versteckt: so tat der aufräumende Eymann einen langen Sprung vom Fenster hinweg, an welches vier Engländer – keine Ausländer, sondern Pferde – herantrabten. Jetzt fiel erst allen die Frage ein, wo der Augenarzt sei; und Sebastian hatte kaum die Zeit, darauf zu antworten, es komme keiner nach, denn er selber operiere seinen Vater. In den engen Zwischenraum, den sich der Vater von der Wagentüre zur Stubentüre durchführen ließ, mußte der Sohn die Lüge drängen, oder vielmehr die Bitte um die Lüge, die die Familie Seiner Herrlichkeit anhängen sollte, »der Sohn wäre noch nicht da, sondern bloß der Okulist, dem der letzte Schlagfluß die Sprache genommen«.
Ich und der Leser stehen unter einem solchen Gedränge von Leuten, daß ich ihm noch nicht
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