Saemtliche Werke von Jean Paul
einmal so viel sagen können, daß der Doktor Kuhlpepper dem Lord das linke Auge mit der plumpen Starnadel so gut wie ausgestochen; – um also das rechte des geliebten Vaters zu retten, hatte Sebastian sich auf die Kur jener Verarmten gelegt, die schon mit den Augen im Orkus wandeln, und nur noch mit vier Sinnen außerhalb des Grabes stehen. –
Als der Sohn die teure, mit einer so langen Nacht bedeckte Gestalt, für die es kein Kind und keine Sonne mehr gab, erblickte: so schob er sein Hand, deren Puls von Mitleid, Freude und Hoffnung zitterte, der Eymannischen unter und reichte sie eilend hin und drückte die väterliche unter dem fremden Namen. Aber er mußte zur Haustüre wieder hinaus, damit seine bebende Retterhand auszitterte, und er hielt draußen das vor Hoffnung pochende Herz mit dem Gedanken an, daß die Operation nicht geraten werde – er sah lächelnd an dem zwölfspännigen Kadettenkorps auf und ab, damit die Rührung und die Sehnsucht aus der bewegten Brust entwichen. Drinnen hatt’ unterdes die Kaplänin aus dem Blinden einen noch Blindern gemacht und ihm vorgelogen quantum satis; sobald eine Lüge, pia fraus, ein dolus bonus, eine poetische und juristische fictio auszufertigen ist: so stellen sich die Weiber von selber als expedierende Sekretäre und Hofbuchdruckerinnen hinzu und helfen dem ehrlichen Mann. »Ich wünschte sehr,« – sagte der Vater beim Eintritt des Sohnes – »die Operation ginge jetzo vor sich, ehe mein Sohn angekommen ist.« Die Kaplänin holte den beklommenen Sohn zurück und entdeckte ihm den väterlichen Wunsch. Er trat leise unter die verlegene Gesellschaft. Das Zimmer wurde verschattet, die Starlanzette vorgeholt und das kranke Auge festgemacht. Alles stand mit banger Aufmerksamkeit um den ruhigen Blinden. Der Kaplan guckte mit einer lächerlichen Angst und Qual auf das schlafende Wochenkind, um mit ihm bei dem kleinsten Schrei sogleich aus dem Starstechzimmer hinauszulaufen. Agathe und Flamin hielten sich weit vom Patienten, und beide mit gleichem Ernst. Die edle Mutter Flamins näherte sich mit ihrem von Freude und Sorge und Liebe zugleich ergriffenen Herzen und mit ihren überfließenden Augen, die dem erschütterten Herzen gehorchten. Viktor weinte bang und froh neben dem stummen Vater, aber er zerquetschte heftig jeden Tropfen, der ihn stören konnte. – So teilt jede Operation durch das Steigen der Zurüstungen dem Zuschauer Herzklopfen und Bangen mit. Nur der verhüllte Brite – ein Mensch, der sein Haupt wie ein hohes Gebirge kalt und heiter über eine Feuerzone hob – dieser hielt der kindlichen Hand ein schweigendes Angesicht ohne Zuckung vor; er blieb vor dem Schicksal gefaßt und stumm, das jetzt entscheiden wollte, ob seine öde Nacht langen sollte bis ans Grab, oder nur bis an diese Minute….
Das Schicksal sagte: es werde Licht, und es ward. – Das unsichtbare Schicksal nahm eines Sohnes ängstliche Hand und schloß damit ein Auge auf, das einer schönern Nacht als dieser ungestirnten würdig war: Viktor drückte die reife Starlinse – diese auf die Schöpfung geworfene Dampfkugel und Wolke – in den Boden des Augapfels hinab; und so, da ein Atom drei Linien tief versenket war, hatte ein Mensch die Unermeßlichkeit wieder und ein Vater den Sohn. Gedrückter Mensch! der du zugleich ein Sohn und ein Knecht des Staubes bist, wie klein ist der Gedanke, die Minute, der Bluts- oder der Tränentropfen, der dein weites Gehirn, dein weites Herz überschwillt! Und wenn ein paar Blutkügelchen bald deine Montgolfiers-Kugeln, bald deine Belidors-Druckkugeln werden, ach wie wenig Erde ist es, die dich hebt und drückt! –
»Viktor! du? – Du hast mich geheilt, mein Sohn?« (sagte der errettete Mensch und nahm die noch mit dem Arbeitzeuge bewaffnete Hand) – »Leg weg und bind mich wieder zu! Ich freue mich, daß ich dich zuerst sah.« – Der Sohn konnte vor Rührung nicht. – »Verbinde mich! das Licht schmerzt. – Du warst es? Rede!« – Er band stumm das geöffnete Auge unter den frohen Tränen des seinigen wieder zu. Als aber der Verband der schönen stoischen Seele alles verdeckte, seine Errötung und seine Ergießung: so wars dem zu glücklichen Sohne nicht mehr möglich, sich länger zu fassen – er überließ sich seinem Herzen und klammerte sich mit seinen Tränen an das umhüllte Angesicht, dem er hellere Tage wiedergegeben hatte; und als er an seiner zitternden Brust die schnellern Schläge des väterlichen Herzens und die festere Umarmung
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