Saemtliche Werke von Jean Paul
es ist wahr; daher ein Mädchen nie so begierig für ihr Theater den zweiten Liebhaber wirbt als nach dem Hintritt des ersten und nach den Schwüren, ihr Werbepatent wegzuwerfen.
Wie konnte aber der Leser auf noch wichtigere Ursachen nicht fallen, 1) auf die Gesamtliebe und 2) auf Viktors Muttermäler?
1) Die Gesamt- oder Zugleichliebe ist zu wenig bekannt. Es ist noch keine Beschreibung davon da als meine: in unsern Tagen sind nämlich die Lesekabinette, die Tanzsäle, die Konzertsäle, die Weinberge, die Kaffee- und Teetische, diese sind die Treibhäuser unsers Herzens und die Drahtmühlen unserer Nerven, jenes wird zu groß, diese zu fein – wenn nun in diesen ehelustigen und ehelosen Zeiten ein Jüngling, der noch auf seine Messiasin wie ein Jude passet und der noch ohne den höchsten Gegenstand des Herzens ist, von ungefähr mit einer Tanz-Hälfte, mit einer Klubistin oder Associée oder Amtschwester oder sonstigen Mitarbeiterin hundert Seiten in den Wahlverwandtschaften oder in den Hundposttagen lieset – oder mit ihr über den Kleebau oder Seidenbau oder über Kants Prolegomena drei bis vier Briefe wechselt – oder ihr fünfmal den Puder mit dem Pudermesser von der Stirne kehrt – oder neben und mit ihr betäubende Säbelbohnen anbindet – oder gar in der Geisterstunde (die ebensooft zur Schäferstunde wird) über den ersten Grundsatz in der Moral uneins wird: so ist soviel gewiß, daß der besagte Jüngling (wenn anders Feinheit, Gefühl und Besonnenheit einander die Waage in ihm halten) ein wenig toll tun und für die besagte Mitarbeiterin (wenn sie anders nicht mit Höckern des Kopfes oder Herzens an seine Fühlfäden stößet) etwas empfinden muß, das zu warm ist für die Freundschaft und zu unreif für die Liebe, das an jene grenzt, weil es mehre Gegenstände einschließt, und an diese, weil es an dieser stirbt. Und das ist ja eben nichts anders als meine Gesamt- oder Zugleichliebe, die ich sonst Simultan- und Tuttiliebe genannt. Beispiele sind verhaßt: sonst zög’ ich meines an. Diese Universalliebe ist ein ungegliederter Fausthandschuh, in den, weil keine Verschläge die vier Finger trennen, jede Hand leichtlich hineinfährt – in die Partialliebe oder in den Fingerhandschuh drängt sich nur eine einzige Hand. Da ich zuerst diese Sache und Insel entdeckt habe: so kann ich ihr den Namen schenken, womit sie andre nennen und rufen müssen. Man soll sie künftighin die Samm- oder Zugleichliebe benamsen, ob ich sie gleich auch, wenn ich und Kolbe wollten, die Präludierliebe – die Maskopei-Zärtlichkeit – die General-Wärme – die Einkindschafttreue nennen lassen könnte.
Den Theologen und ihrer Kannengießerei von den Endabsichten zu Gefallen werf’ ich noch diesen festen Grundsatz her: ich möchte den sehen, ders ohne die Sammliebe in unsern Zeiten, wo die einspännige Liebe durch die Foderungen eines größeren metallischen und moralischen Eingebrachten seltner wird, drei Jahre aushielte.
2) Die zweite Ursache von Viktors Weiber-Liebhaberei war sein Muttermal, d. h. eine Ähnlichkeit mit seiner und jeder Mutter. Er behauptete ohnehin, seine Ideen hätten gerade den Schritt, d. h. den Sprung der weiblichen, und er hätte überhaupt recht viel von einer Frau; wenigstens gleichen die Weiber ihm darin, daß ihre Liebe durch Sprechen und Umgang entsteht. Ihre Liebe hat sicher noch viel öfter mit Haß und Kälte angefangen als aufgehört. Aus einem aufgedrungenen verhaßten Bräutigam wird oft ein geliebter Ehemann. »Ich will,« – sagte er im Hannöverischen – »wenn nicht in ihr Herz, doch in ihre Herzohren. Sollte denn die Natur in die weibliche Brust zwei so weite Herzkammern – man kann sich darin umkehren – und zwei so nette Herzalkove – den Herzbeutel hab’ ich gar nicht berührt – bloß darum hineingebauet haben, daß eine Mannseele diese vier Zimmer mutterseelenallein miete, wie eine weibliche die vier Gehirnkammern des Kopf-Frauengemachs bewohnt? Ganz unmöglich! und sie tuns auch nicht: sondern – aber wer übermäßigen Witz scheuet, gehe mir jetzt aus den Füßen – in die zwei Flügel dieser Rotunda und in die Seitengebäude wird hineingelagert, was hineingeht, d. h. mehr als herausgeht – wie in einem Zoll- oder Taubenhause gehts aus und ein – man kann nicht zählen, wenn man zusieht – es ist ein schöner Tempel , der Durchganggerechtigkeit hat. – Solche kehren sich an die wenigen gar nicht, die sich einschränken und die Hauptloge des Herzens nur
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