Saemtliche Werke von Jean Paul
Großen, den man nach der Ausweidung im Tode aufs Paradebette legen sollte mit dem hungrigen Magen unter dem einen Arm und mit der durstigen Leber unter dem andern, wie man auch Kapaunen beide Eingeweide als Armhüte zwischen beide Flügel gibt.
Im Schlosse war Viktor zu Hause wie in der Kaplanei; denn der eigentliche Hof, der eigentliche Hof-Wurmstock und Froschlaich war bloß im Palast des wirklichen Ministers von Schleunes ansässig, weil der die Honneurs des Thrones machen mußte, die Gesandten, die Fremden einlud u. s. w. Die Fürstin wohnte im großen alten Schloß, das Paulinum genannt. So verlebte also Jenner seine Tage ohne Prunk, aber bequem, in der wahren Einsamkeit eines Weisen, und brachte sie mit Essen, Trinken, Schlafen zu; daher konnte ihn der flachsenfingische Prorektor ohne Schmeichelei mit den größten alten Römern vergleichen, an denen wir einen ähnlichen Haß des Gepränges bewundern. Jenner hatte im Grunde keinen Hof, sondern ging selber an den Hof seines wirklichen Ministers; aber höchst ungern: er konnte da nichts lieben, weder die Fürstin, die immer da war, noch Schleunes’ ehelose Töchter, die noch wider sein Londoner Gelübde waren.
Nachts um 12 Uhr hätte Zeusel gern noch darhinter kommen wollen, wie alles sei, und brachte dem Leibmedikus seine Nichte Marie als Lakaiin zugeführet. Der Medikus, der keinen Narren in der Welt zum Narren haben konnte, zumal unter vier Augen, steckte dem dünnen Hecht die Raufe voll Wahrheit-Futter, das dieser begierig herausfraß wie Ananas. Marie war eine durch einen Prozeß verarmte, durch eine Liebe verunglückte Verwandte und Katholikin, die in der kalten höfischen Apothekers-Familie nichts empfing und erwartete als Stichwunden der Worte und Schußwunden der Blicke – ihre aufgelöste und erquetschte Seele glich der Bruchweide, der man alle Zweige rückwärts mit der bloßen Hand herunterstreichen kann – sie fühlte bei keiner Demütigung einen Schmerz mehr – sie schien vor andern zu kriechen , aber sie lag ja immerfort niedergebreitet auf dem Boden. Als der sanfte Viktor diese demütige, seitwärtsgekehrte Gestalt, über die so viele Tränen gegangen waren, und dieses sonst schöne Gesicht erblickte, auf welches nicht Leiden der Phantasie ihre reizenden Maler-Drucke aufgetragen, sondern physische Schmerzen ihre Giftblasen ausgeschüttet hatten: so tat seinem Herzen das Schicksal der Menschen wehe, und mit der sanftesten Höflichkeit gegen Mariens Stand, Geschlecht und Jammer lehnte er ihre Dienste ab. Der Apotheker würde sich selber verachtet haben, wenn er diese Höflichkeit für etwas anders als feine Raillerie und Lebensart genommen hätte. Aber Viktor schlug sie noch einmal aus; und die Arme entfernte sich stumm und, wie eine Magd, ohne Mut zur Höflichkeit.
Am Morgen brachte ihm die Ausgeschlagene doch sein Frühstück mit gesenkten Augen und schmerzlich lächelnden Lippen; er hatt’ es in seinem Bette gehört, daß der Apotheker und seine harten Holztriebe von Töchtern Marien das »lamentable greinerliche Air« vorgehalten und daraus den »refus des raillierenden« Herrn oben gefolgert hatten. Ihm blutete die Seele; und er nahm Marien endlich an – er machte sein Auge und seine Stimme so sanft und mitleidend, daß er beide dem weichsten Mädchen hätte leihen können; aber Marie bezog nichts auf sich. – –
Jenner konnte kaum abpassen, wenn er wiederkäme – –
Den dritten Tag wars wieder so – –
So auch die andere Woche – –
– Ich wünschte aber, meine Leser wären um diese Zeit durchs flachsenfingische Tor sämtlich geritten und diese gelehrte Gesellschaft hätte sich in die Stadt zerstreuet, um Erkundigungen von unserem Helden einzuziehen. Der Lesevortrab, den ich auf die Kaffeehäuser geschickt hätte, würde erfahren, daß der neue englische Doktor schon den alten gestürzt – dem Pfarrsohn in St. Lüne zum Regierratposten verholfen – und daß große Änderungen in allen Departements bevorstehen. Das unter die Hof-Kellerei, –Schlächterei, –Fischmeisterei, –Kastellanei und –Dienerei verteilte Treffen würde mir mitbringen, daß der Fürst dem Doktor nicht auf die Finger, sondern auf die Achsel geklopfet – daß er ihm vorgestern sein Bilderkabinett eigenhändig gezeigt und das beste Stück daraus geschenkt – daß er in der Komödie mit ihm aus der Hauptloge herausgesehen – daß er ihm eine steinreiche Dose geschenkt (die gewöhnliche Regenten-Bürgerkrone und deren Friedenpfeife,
Weitere Kostenlose Bücher