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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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in die Welt des geschriebenen Wortes verlegt. Was als ein fast naiver Egoismus immer deutlicher an ihm zutage trat, es war diese immer stärker sich entwickelnde Neigung, vom Leben nur Stoff für schriftstellerische Darstellung zu erraffen. Er lebte nicht mehr vom Empirischen aus, sondern unter den großen Formen des Geistes, in den er tiefer und tiefer eindrang. Von seinem starken inneren Erleben her ordneten sich ihm auch seine Schicksale und äußeren Erlebnisse. Er brach von den Prinzipien des Lebens her in das Leben ein und formte es nach seinem Maß. Sein Leben wie sein Arbeiten wurde zum unaufhörlichen Schöpfungsprozeß. Kants erkenntnistheoretischen Subjektivismus, der bald einen starken Eindruck auf ihn machen sollte, ja den er trotz seiner Jugend als einer der ersten verstand, war schon vor Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft die Norm seines Lebens, das er von seinem Subjekt aus aufbaute.
    Wohl kein Mensch hat derartige Massen von Gedanken zu Papier gebracht wie Jean Paul. Diese unaufhörliche Produktionsarbeit hatte bereits eingesetzt, ehe er das Gymnasium besuchte. Schreiben war ihm fast wie Atmen geworden, und er schrieb immer, wenn nicht das Leben unaufschiebbare Ansprüche an ihn stellte und ihn zwang, in Dasein und gesprochenem Wort zu verwirklichen, was er sonst schrieb. Die Resultate seines Denkens und Schaffens trug er mit einer grandiosen Selbstverständlichkeit und Rücksichtslosigkeit in das Leben hinein. Er lebte in einer dauernden Hochspannung des Gefühls, fraß die Menschen und warf sie achtlos und fast ohne es zu bemerken beiseite, wenn sie seinem Sturmschritt nicht mehr zu folgen vermochten. Die Menschen kamen und gingen in seinem Leben, ohne daß er dessen Acht hatte. Er war ein Virtuos der Freundschaft, aber die entschwundenen Freunde entschwanden auch seinem Bewußtsein. Adam von Oerthel, der seinem Herzen Jahre hindurch am nächsten gestanden hatte, wurde im Alter von ihm mit seinem späteren Freunde Friedrich von Oerthel verwechselt, und auf den Namen seiner Braut Karoline von Feuchtersleben konnte er sich einige Jahre nach seiner Entlobung nicht mehr besinnen. Immerwährendes Geben und Sichfortschenken war ihm Bedürfnis. Ein Dämon trieb ihn von innen her, und die Außenwelt sank vor seinem Bewußtsein zurück. Die Menschen, die ihm sein Leben lang nahestanden, mußten sich mit aller Gewalt an ihn klammern. Wären sie zurückgeblieben, er wäre sich des Verlustes kaum bewußt geworden.
    Man kann sehr viel gegen eine solche Lebenshaltung einwenden, aber sie allein befähigte ihn, alles, was in ihm war und wirkte, restlos zu verwirklichen und in seinem Werk einen Menschen aufzubauen, der ganz er war und sich der ganzen Welt zum Geschenk gab, wenn die einzelnen Objekte seiner Hingabe wechselten. Was wie ein gesteigerter Egoismus aussah, das war in Wirklichkeit die grandioseste Hingabe des ganzen Menschen. Er lebte nicht für den einzelnen Freund, aber er lebte die große Freundschaft allen Menschen vor. Er hat vielleicht nicht ein einziges Mal wahrhaft und ernst geliebt, wenn man seine Haltung den einzelnen Mädchen und Frauen gegenüber betrachtet. Aber er lebte in einer ständigen Liebe, weit über das jedesmalige Objekt hinaus, und lebte deshalb der Welt das Leben des großen Liebenden vor, an dem alle Liebenden von Jahrhunderten sich entflammen können.
    Wenn er seit frühester Jünglingszeit fast nur noch im geschriebenen Wort zu leben schien, so darf man doch das Verhältnis von Werk und Wesen bei ihm nicht verkennen. Er lebte im Geist und von innen her, aber das einzelne Werk, das vielleicht zu schreibende Buch war ihm nie höchster Zweck, war ihm immer nur Mittel, sein Wesen zu verwirklichen. Er arbeitete ununterbrochen und konnte sich später bei seinen Dichtungen mit Feilen und Umarbeiten nicht genug tun. Aber es war nie die ästhetische und formelle Vollendung des Werks, was er erstrebte – alle seine Dichtungen sind ein glühender und ungebändigter Ausbruch seines Innern –, sondern die Sichtbarmachung und Verwirklichung seines Wesens. Und gerade darin liegt das Geheimnis seiner unendlichen Fruchtbarkeit. Er war kein moderner Künstler, wie ihn uns in vollendetster Gestalt Flaubert dargestellt hat, dem das ästhetische Werk letzten Endzweck des Lebens bedeutete –, sondern in ihm lebte noch etwas von den großen namenlosen Künstlern der Gotik, die ohne Ruhmgier und Werkbesessenheit im Geiste und im Wesen lebten und denen gerade deshalb die unendliche Fülle

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