Saemtliche Werke von Jean Paul
der Gestalten und Formen erwuchs in selbstverständlichem und unhastigem, aber fortwährendem Reifen.
Was von seinem Schaffen der Welt sichtbar geworden ist, ist nur ein Teil alles dessen, was er geschrieben hat, und eine Biographie, die ihm auf allen Pfaden folgen wollte, würde Bände und Bände füllen müssen. Allein die Vorarbeiten zu seinen satirischen Erstlingsbüchern, den »Grönländischen Prozessen« und den »Teufelspapieren«, nehmen mehr Raum ein als mehrere seiner längsten Romane. Und alle diese Aufzeichnungen waren zum Aufbau seines Lebenswerkes notwendig. Aber man würde dem Dichter keinen Gefallen erweisen, wollte man sie im einzelnen analysieren. In diesen zahlreichen Aufsätzen, Ausarbeitungen, Schulreden arbeitete Jean Paul sich durch das Weltbild seiner Zeit hindurch. Wenn nur diese vorbereitenden Jugendarbeiten, unter denen sich ganze Aphorismenbände voll glänzender psychologischer Beobachtung befinden, erhalten wären, würde sein Name sich eine Stellung in der Literaturgeschichte neben Rabener, Liscow und Lichtenberg etwa errungen haben, aber Jean Paul würde heute, wie alle diese Satiriker des Aufklärungszeitalters, nicht mehr zum Leben zu erwecken sein.
»Die Schwärmerei«, heißt es in einer Tagebuchaufzeichnung, »ist im männlichen Alter am schönsten, in das sie gewöhnlich bei phantasiereichen Köpfen fällt, wenn sie in der Jugend systematisierten.« Dieser Ausspruch gibt Jean Pauls Entwicklung in Kürze an. Ein pro domo geschriebener Ausspruch. Aber dennoch bezeichnet er die Entwicklung jener Zeit und vielleicht jede Entwicklung zu vollem Menschentum. Gerade das phantasievolle Kind ist am meisten damit beschäftigt, sich des Andrangs der Dinge durch Systematisieren zu erwehren, und je aufnahmefähiger und bereiter es ist, desto schwerer wird es zur Sprache des eigenen Herzens vorzudringen imstande sein. Aber erst wenn wirklich der ganze Reichtum der Erscheinungen aufgenommen und aufgehoben wurde, wird die dann frei hervorquellende Phantasie in sich ihr Feuer und ihren Wert tragen und nicht Erzeugnis vorübergehender Jugendlichkeit sein. Die Stürmer und Dränger waren im Alter Gescheiterte oder Philister, aber das Feuer aus dem Herzen Jean Pauls zündet über das Jahrhundert hinweg.
Die Bibliothek des Pfarrers Vogel in Rehau war auch während der beiden Gymnasialjahre in Hof das hauptsächliche Bildungsmittel des Jünglings über den kärglichen Unterricht unzulänglicher Lehrer hinaus. Die Muluszeit in Schwarzenbach unterbrach diese Studien nicht. Übungen und Abhandlungen wurden dem älteren Freunde zur Beurteilung vorgelegt, von seiner Bibliothek befand sich nach wie vor ein stattlicher Bruchteil in Jean Pauls Zimmer. Als Bücherbote ging wohl damals schon ein jüngerer Bruder zwischen Schwarzenbach und Rehau hin und her. Eine Briefstelle aus jener Zeit, die von Hippels bekanntlich anonym erschienenem Buch »Über die Ehe« handelt, läßt aufhorchen: »Es hat eine frappante Ähnlichkeit mit den Lebensläufen nach aufsteigender Linie.« Jean Paul hatte also damals bereits Instinkt und Urteil genug, um den Königsberger Hippel auch in dem neuen Gewande herauszukennen. Von den großen Sternen, die später seinem Weg vorausleuchten sollten, ging ihm hier also Gottlieb Theodor von Hippel als erster auf. Auch unter den erhaltenen Aphorismen knüpft einer an Hippel an, dem er auch als Dichter bereits in seinem Jugendroman den Tribut gezollt. Auffallend ist die Klarheit, mit der Jean Paul seine Schreibversuche oder »Übungen im Denken«, wie er sie selbst nannte, beurteilte. In einer Vorbemerkung zu einem seiner Schreibhefte vom 29. November 1780 schrieb er, daß diese Versuche nur für ihn seien als Übungen, »um’s einmal zu können«. Das Ziel der Schriftstellerlaufbahn stand ihm also schon Monate vor der Abreise nach Leipzig fest.
Die Schwarzenbacher Muluszeit blieb hauptsächlich der Lektüre und schriftstellerischen Versuchen gewidmet. In den Januar fällt der Roman »Abelard und Heloise«. Auch dem Hauswirt der Familie, Aktuar Vogel, einem Verwandten des Pfarrers, scheint er nähergetreten zu sein, denn bald wechselte er von Leipzig aus Briefe mit ihm. Auch der Aktuar Vogel sollte später eine Rolle in seinem Leben spielen. Selbstverständlich war auch eine herzliche Fortsetzung des Verkehrs mit seinem früheren Lehrer und Gevatter, dem Rektor Werner. Werners Einfluß war es auch, daß als Universität schließlich Leipzig bestimmt wurde. Der Rektor versicherte, daß
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