Saemtliche Werke von Jean Paul
» The Dunciad « (von dunce = Dummkopf) in diesen Aufsatz, wie überhaupt in die Arbeiten der nächsten Jahre, eingeflossen.
Von den englischen rationalistischen Dichtern fand er endlich auch den Zugang zu jener andern zurückliegenden rationalistischen Literatur, die ihm auf der Schule durch den schlechten Unterricht seiner Lehrer verleidet worden war: der lateinischen. Cicero und Seneca – »ich liebe diese beiden jetzt über alles und gäbe ihre Lektüre um keines der besten deutschen Bücher. Die nachgeahmten Satiren eines Pope reißen mich hin; ich fand sie im Original, im Horaz, noch schöner; seine Kritik der Vernunft ist ein Meisterwerk; Horaz de arte poetica ebenso. Jetzt lieb’ ich die lateinischen Autoren; ich habe das dumme Vorurteil fahren gelassen, von welchem ich durch eine sehr schlechte Information von meinem lateinischen Lehrmeister bin angesteckt worden« Und in diesem Zusammenhang dürfen auch die Franzosen nicht fehlen: »Jetzt les’ ich die französischen Bücher lieber als deutsche. Der Witz eines Voltaire, die Beredsamkeit eines Rousseau, der prächtige Stil eines Helvezius, die feinen Bemerkungen eines Toussaints – alles dies treibt mich zum Studium der französischen Sprache.« Die Luft von Klein-Paris, wie Leipzig genannt wurde, machte sich bemerkbar. »Sonst las ich bloß philosophische Schriften; jetzt noch lieber witzige, beredte, bilderreiche.« Wie Goethe in Leipzig fünfzehn Jahre früher von der gefälligen Welt des Alexandriners eingefangen wurde, so ging es jetzt Jean Paul mit der rationalistischen Satire, der lateinischen, und ihrer Nachahmer aus dem 18. Jahrhundert.
Mit Verwunderung wird man Rousseaus Namen in diesem Zusammenhang antreffen. Ganz anders hatte Rousseaus »Neue Heloise« auf den Gymnasiasten und Mulus gewirkt, als er der schwärmerischen Periode in seinem Jugendroman »Abelard und Heloise« opferte. Man sollte meinen, daß die Lektüre des Sturmvogels der französischen Revolution die rationalistische Kruste des Studenten sprengen und ihn in einen Strudel überströmenden Lebensgefühls hineinreißen würde. Es war die Zeit, wo Rousseaus Einfluß auf Pestalozzi, Basedow und die Philanthropisten bezwingend wirkte. Aber ganz anders nahm Jean Paul ihn auf. Nicht sein edler Zorn, seine Anklage der menschlichen Gesellschaft, der Kultur des 18. Jahrhunderts wirkte auf ihn ein. Er preist seine »Beredsamkeit«, und in seinen Exzerptenheften machte er Auszüge von Beschreibungen vornehmer Lebenskreise, die ihm verschlossen waren und in die hineinzublicken ihn noch immer sehnsüchtig verlangte. So schrieb er sich eine über zwanzig engbeschriebene Seiten lange Darstellung des geselligen Lebens in der großen Pariser Welt ab, wohl in dem dunklen Gefühl, daß er solche Schilderungen einmal zu eigener Darstellung gebrauchen würde. Aber wenige Monate später berührte ihn doch von ferne die eigentümliche Größe Rousseaus. Etwa im September 1781 schreibt er im »Tagebuch meiner Arbeiten«: »Wir haben große Geister gehabt, aber noch keine großen Menschen. Alle unsere Genies schwingen sich durch ihren Verstand über diese Erde weg – wir sehen traurig ihrem Fluge nach und bedauern, nur Menschen zu sein; wir verehren sie, aber wir lieben sie nicht sehr. Allein eine Ausnahme ist da: Rousseau. – Seine Fähigkeiten machten ihn zum großen Mann – – sein Herz zum großen Menschen.« Er ahnt, daß es etwas Höheres gibt als den Geist des Rationalismus: das Feuer, die bestehenden Verhältnisse umzuschmelzen. Er, der sein Herz unverhüllt in die Welt werfen sollte, ahnt in dem großen Schweizer einen Vorgänger. Aber der Anhauch dieses Geistes schmilzt ihn selber noch nicht um.
Während all dieser Arbeiten und Eindrücke rissen die Fäden nach der Heimat nicht ab. Der geistige Austausch mit dem Pfarrer Vogel wurde fortgesetzt, wobei der junge Student allmählich die Führerrolle übernahm. Von dem geistigen Zentralpunkt der großen Stadt übermittelte er dem abgelegenen Dorfpfarrer die literarischen Neuerscheinungen. »Zur Messe kommen verschiedene wichtige Bücher heraus: Kants Kritik der Vernunft; witzig, frei und tiefgedacht!« heißt es in dem Brief vom 17. September 1781. Er besorgte dem Mentor Bücher und wichtige Rezensionen. Aber auch die familiären Verhältnisse in Schwarzenbach erforderten seine ständige Aufmerksamkeit. Gegen Ende des Sommers brach der zehnjährige trojanische Krieg mit der Armut in ganzer Heftigkeit los.
Aktuar Vogel, der Hauswirt der
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