Saemtliche Werke von Jean Paul
gehören, sie alle waren über dem Elend einer unsagbar armen Bevölkerung errichtet worden. Durch die Verwandtschaft des landesväterlichen Hofes mit dem großen Preußenkönig waren schon damals die Augen nach Berlin gerichtet. Anläßlich eines Besuches Friedrichs bei seiner Schwester war jene herrliche Allee entstanden, die noch heute an Haus Wahnfried und der Rollwenzlei vorüber nach der Eremitage führt. Nun aber wurde das Verhältnis zwischen dem Baireuther und dem Berliner Hof aktuell. Mit Markgraf Alexander drohte die Linie der fränkischen Hohenzollern auszusterben, und es stand zu erwarten, daß nach seinem Tode das Land an die preußischen Hohenzollern fallen würde.
Der Berliner Hof erfreute sich damals keiner großen Beliebtheit. Nach dem Tode des großen Königs waren Verschwendungssucht und Mätressenwirtschaft eingerissen. Die Geliebte Friedrich Wilhelms des Dicken, wie ihn der Volksmund nannte, die übelberüchtigte Gräfin Lichtenau, war auch in Baireuth bekannt geworden, und man setzte auf einen Thronwechsel keine allzu großen Hoffnungen. Im Volke bildete sich sogar das Gerücht von einem wahren Thronerben, der auf Betreiben des erbgierigen Berliner Hofes in fernen Landen sittlich und körperlich verdorben und untüchtig gemacht worden sei, oder die Sehnsucht der Bevölkerung mochte sich auch an eine erdachte Idealgestalt halten, die von der Erbfolge ausgeschlossen irgendwo ein Kaspar-Hauser-Schicksal erlitt. Noch ehe Jean Paul seinen ersten Roman vollendete, wurde übrigens das Schicksal des Landes entschieden. Am 8. Februar 1792 fiel das Fürstentum an Preußen.
Diese dynastischen Verhältnisse spiegeln sich mit den Gerüchten, die sie im Gefolge hatten, auch in der »Unsichtbaren Loge«. Haß und Habgier zerfleischen die Mitglieder der fürstlichen Familie. Der gerade zur Regierung gekommene Fürst beneidet dem Bruder die Apanage und haßt den Arzt, der den unglücklichen Prinzen vom Tode errettet hat. Und abseits der Hofgesellschaft wächst in der Tat einer heran, ein unehelicher Sohn des alten Fürsten, der Kapitän Ottomar, der, durch seine Geburt von der Thronfolge ausgeschlossen, die stärksten Herrschertugenden sein eigen nennt und sich, zur Untätigkeit verdammt, in wilden Ausbrüchen verzehrt. Vielleicht lag es im Plan des nicht vollendeten Romans, daß Ottomar dennoch zur Herrschaft gelangen sollte. Vielleicht war er der echte Sohn des verstorbenen Fürsten und auf Betreiben des benachbarten Hofes, der in dem Kraftvollen den Gegner witterte, vertauscht worden. Leise Andeutungen zu einer solchen Fortführung des Romans sind vorhanden. Die Geschichte der fränkischen Hohenzollern, die Jean Paul zum mindesten auf der Schule bekannt geworden ist, bot zu einer solchen Auffassung der Erbfolge sogar einen merkwürdigen Präzedenzfall: Im Jahre 1726 war mit dem Tode des Markgrafen Georg Wilhelm die regierende Linie erloschen. Der erbberechtigte Weferlingensche Nebenzweig hatte sich in seinem Familienhaupt Christian Heinrich durch eine preußische Pension abfinden lassen und auf die Erbfolge verzichtet. Christian Heinrich war noch vor dem Markgrafen Georg Wilhelm im Jahre 1708 gestorben, aber er hatte einen Sohn, der weitab von dem Treiben der Dynastien in Einsamkeit aufwuchs. Als nach dem Tode Georg Wilhelms sich die preußischen Hohenzollern zur Übernahme der Erbschaft anschickten, auf den Erbfolgeverzicht Christian Heinrichs bauend, tauchte unvermutet dessen Sohn Georg Friedrich Karl auf und machte seine Ansprüche mit Erfolg geltend. Vom Volksmund als »Markgraf Säbelbein« bezeichnet, regierte er noch ungewöhnlich lange und verschwenderisch. Seine Schwiegertochter war Friedrichs des Großen Schwester, die ihn mit den scheußlichsten Farben in ihren Briefen gezeichnet hat. Vielleicht sind von dieser Geschichte gewisse Vorstellungen in die Gestalt des Kapitäns Ottomar eingeflossen.
In jedem der drei Romane, mit denen Jean Paul den großen Wurf eines deutschen Erziehungsromans versucht: in der »Unsichtbaren Loge«, im »Hesperus« wie im »Titan«, taucht der Gedanke auf, den Helden oder einen der Helden auf einen Thron zu setzen. Es war die letzte Konsequenz des Erziehungsgedankens, der alle Werke Jean Pauls durchtränkt. Zu welchem Ziele sollten seine Helden erzogen werden? Er nahm das größte und äußerste Ziel: zum Herrscher oder Führer eines Volkes. Aber keineswegs ausschließlich in der Luft der Höfe durfte dieses Erziehungswerk vor sich gehen. Die Hofluft war nach den
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