Saemtliche Werke von Jean Paul
Augenblicke spüren, daß es wirklich so ist! –, dann konnte auch die Welt ohne Gott, das ist: ohne Sinn sein, und wir zerstäubten in Atome, statt ewigem Verein entgegenzuwallen.
In seiner Weltanschauung hatte er das Entweder-Oder der Systeme überwunden. In einem Brief an den neuen philosophischen Freund Wernlein, den ersten, mit dem er wirklich und sachgemäß philosophieren konnte, drückt er es aus: »Ich habe Hochachtung vor jedem Unsinn, weil er von und in einem Menschen ist und weil jeder Unsinn bei näherer Umleuchtung Gründe verrät, die seine Annahme entschuldigen… das nützlichste Buch wäre eines, das die Vernunftmäßigkeit alles menschlichen Unsinns darstellte.« Deshalb konnte er in seinem visionären Traum keine Entscheidung fällen, denn jenes »nützlichste Buch« lebte mit seinen Resultaten in seinem Innern. Es war die entwicklungsgeschichtliche Aufhebung alles Bestehenden und Gewesenen in einen höheren Zusammenhang, wie sie ihm Herders Anschauung darbot, Hegels Entwicklungsphilosophie bereits vorausnehmend.
Gewaltiges staute sich in ihm an, hinter dem die Satirenschreiberei nun gänzlich zurücktrat. »Indes ich hier mit meinem pädagogischen Quentlein wuchere,« schreibt er im Juli an Otto, »und Einem Orte nütze: tu ich wieder allen übrigen Orten den wirklichen Schaden, daß ich nichts Satirisches hecke. Ich werde mich wahrhaftig schlecht bei der klugen Welt entschuldigen, wenn ich mich mit den vielen Bänden bloß entworfener Satiren, die ich jede Stunde gerichtlich niederlegen kann, zu decken meine.« Er schickt dem Freund ein Verzeichnis solcher entworfener Satiren und bittet, ihm einige der darin aufgeführten Entwürfe zur Ausarbeitung zu bestimmen. Otto wählte »Florian Fälbels Reise mit seinen Primanern« und »Weibliche Ohnmachten« aus, die Jean Paul denn auch in der Folge ausarbeitete. Aber sein Herz weilte doch schon bei einem andern Plan. Schon in dem Brief an Otto spricht er von »dem Romane, an dem ich laiche«, und bald sollte dieser Vorwurf greifbare Gestalt annehmen.
Indessen zog sein ganzes Leben an seinem innern Blick vorüber, wie in dem deutlichen Gefühl, daß er vor einer neuen Periode stand. Es geschah in dem Augustbrief an Wernlein. »Seit vielen Jahren schrieb ich nicht so viel Ernsthaftes als im heurigen. Außer Ihnen muß noch, da ich obendrein von Tag zu Tag wieder mich zum zwölften Jahre zurückbegebe, in dem man am weichsten, entweder das Machen eines Romanes daran schuld sein oder das Spielen desselben.« »O, wenn Sie mir vor zehn Jahren einen solchen (Brief) geschenkt hätten, wo ich meine Arme um jeden ephemerischen Freund so innig schlug wie um einen perennierenden – wo ich keinen Menschen kannte, nicht einmal den nächsten, mich selbst, alle aber liebte…« Immer tiefer wandern seine Gedanken zurück in die Zeit der ersten aufkeimenden Arbeiten mit ihrer Leipziger Trostlosigkeit. Er spricht von dem Heerrauch, der im Jahre 1783 über weiten Teilen Mitteldeutschlands lagerte wie ein dumpfer Druck. »Im Heerrauchsjahr wölkte dieser Seelenheerrauch (der Skeptizismus) meine so sehr ein, daß mir keine Wissenschaft mehr schmeckte und ich ein Buch mit scharfsinnigem Unsinn lieber las als eines mit schlichtem Menschenverstand, weil ich bloß noch las, um meine Seele zu üben, nicht aber zu nähren.« Wie in eine dunkle Wolke blickte er in die Zeit seiner Satirenschreiberei zurück, das Herz schon voll von dem Roman, an dem er schreibt oder den zu leben ihm bevorsteht. Er war in Venzka zu Besuch gewesen, und vielleicht mag des früh verstorbenen Oerthel gedacht worden sein. Denn unmittelbar darauf sandte er einige Aufsätze an Beate Schäfer, geb. von Spangenberg, Oerthels einzige Liebe. »Meine Absicht war aber auch nur, mir selbst einen Gefallen zu tun, damit ich prahlen und sagen könnte, ich habe an das vortrefflichste Frauenzimmer, das ich in meinem närrischen bloß tockierten Leben gesehen, einen kurzen Brief geschrieben.« Wenige Tage darauf fand das »Examen« seiner Zöglinge statt in dem oft besuchten Birkenwäldchen. »Wie man nämlich von dem jüngsten Richtstuhl in den Himmel übertritt: so wurde unser Examen mit einem Tanz im hiesigen Walhalla verknüpft. Was mich noch in dieser Minute selbst wundert, ist, daß der Examinator selbst mittanzte, und er muß nicht nur zuviel getrunken gehabt haben.« Mit vollem Herzen strömte er in die Kinderwelt ein, die ihm in seinen Zöglingen von neuem sich darbot. Das eigene Kinderland gewann er
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