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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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lassen, bis sie endlich bereichert von Zuflüssen und Schicksal noch einmal in donnernder Größe dahinbraust und verklingt. Epischen Wesens ist das Gesetz dieser Führung eines unendlichen Melos’. Unendlich, weil es wie die Welt kein Ende hat und nur aufhört, da es seine Kraft entladen hat und nicht, weil ein Weg zu Ende ist
    Auf dieser dynamischen Form des polyphonen Melos’ beruht das Wesen der Kunst Jean Pauls, und vielleicht ist es im höheren Sinne kein Zufall, wenn hundert Jahre später der nur wenige Stunden von Jean Pauls Geburtsort entfernt geborene Max Reger von dem gleichen Formgefühl geleitet und an Bachs Melos anknüpfend eine neue Periode musikalischer Formenentwickelung einleitete.
    Es ist das Strömen einer unendlichen Melodie, das auch Jean Pauls Dichtungen kennzeichnet. Ein ewiges Auf. und Niederwogen der Stimmung, ein Anheben und Wiederversinken, und nur, wie auch Bachs oder jede Musik schließlich doch dem Kadenzierungsprinzip unterliegt, findet sich in seinen Dichtungen so etwas wie ein Konflikt und seine Lösung, weil größere Massen dieses Haltepunktes benötigen. An sich bedarf er eines solchen »Knotens« nicht, er vermag ohne ihn immer neue Massen vorzuschieben in immer größerer Wölbung und Dichte. Seine weniger umfangreichen Dichtungen entraten eines solchen Knotens ganz. Ein Aufsatz wie etwa die Rede des toten Christus bewegt sich um kein anderes Zentrum als das einer ungeheuren kosmischen Verzweiflung. Wenige Töne werden durchgehalten, in immer stärkerem Brausen fährt die entsetzte Welt dahin. Auf einmal ist alles zu Ende.
    Deshalb müssen von Natur alle Werke Jean Pauls in irgendeinem Sinne Torso bleiben, auch wenn sie äußerlich vollendet sind. Deshalb sind aber auch alle diese Bruchstücke dennoch ein künstlerisch Ganzes. Die Kraft des dichterischen Einfalls hat sich entladen. Das Leben läuft in unendlichem Strom, an dessen Ufer wir noch eben gestanden haben, weiter, und doch hat sich etwas geschlossen. Aus dem Wellengewoge des Lebens ist ein Wellenberg mit einer großen Bewegung zu Ende gekommen. Wir atmen auf, obwohl das unendliche Strömen um uns nicht abreißt. Es ist wie auf den Bildern der frühen Impressionisten, die zuerst Baumstämme mit dem Bildrahmen abschneiden oder selbst von einem lebenden Pferd nur den Kopf oder einen Teil des Rumpfes geben. Gerade dadurch zeigt sich ein Ausschnitt des Daseins in seinem eigenen Rhythmus.
    Auf Schürzung und Auflösung eines Knotens hat Jean Paul stets außerordentlich wenig Gewicht gelegt. Man hat daraus geschlossen, daß ihm das Erfinden einer äußeren Handlung ungewöhnlich schwer falle. Er selbst betont in seiner »Vorschule der Ästhetik« später die Schwierigkeit gerade dieses Teils der dichterischen Produktion, und doch ist das Fortführen der Handlung in seinen Romanen nicht etwas Mißglücktes. Ungeheures allerdings mutet er uns oft zu, Verwickelungen, die über jede Möglichkeit hinausgehen. Wenn er es aber tut, hat er seine bestimmte künstlerische Absicht. Das Seelische, das unter den sichtbaren Beziehungen der Menschen hergeht, macht er sichtbar, indem er aus Träumen und Halluzinationen, aus Verwechselungen und Mißverständnissen seine Situationen aufbaut. Und oft sind sie nur scheinbar unmöglich, vielmehr mit allen feinsten Einzelzügen der Wirklichkeit abgelauscht und nur ungewöhnlich, weil niemand vor ihm die Kühnheit hatte, so zu sehen und so zu komponieren.
    Der Knoten in der äußeren Handlung der »Unsichtbaren Loge« ist vielleicht darin zu suchen, daß der Kommerzienagent Röper Gustav die Hand Beatens verweigert. Aber welch geringe Rolle spielt dieser Knoten in der Komposition! Er ist kaum mehr als ein retardierendes Moment, indem diese Weigerung mit andern Gründen gemeinsam das Wiedersehen der Liebenden nach ihrem ersten Sichfinden einige Tage hinausschiebt, bis –, allerdings bis es zu spät und Gustav Beate verloren hat. Nicht mehr. Die Handlung selbst ist das Auf- und Niederwogen der Stimmungen und der von ihnen getragenen Menschen. Sie gewinnt ihren Rhythmus aus andern Bezirken als aus denen äußerer Verwickelungen, die im Grunde nur das Chaos des Innern widerspiegeln.
    Was aber ist die eigentliche Substanz des Romans? Schon in der »Unsichtbaren Loge« schwebte Jean Paul das Ziel vor, das er im »Titan« zuerst erreichte: die Erziehung eines Menschen zu harmonischem umfassenden Menschentum. Nicht zur Persönlichkeit im Sinne Goethes. Goethes Persönlichkeit ruht in sich, ist ein ins

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