Saemtliche Werke von Jean Paul
Wälder hängen über Felsenschroffen, unendlich dehnt sich vor den Höhen das Land in romantischem Wechsel. Immer weiter schweift der Blick, neue und immer neue Gebirgsketten entsteigen dem Horizont. Grüne Wiesen und Felder sind über die Hügel gebreitet, und im Herbst oder Winter liegt der Nebel in schweren Tüchern um die Kuppen und schleicht wie eine Herde über das Land. Eine merkwürdige Landschaft, die keiner vergißt, der sie einmal besuchte. Romantische, tief eingerissene Bergschluchten tun sich auf, als ob sie ins Erdinnere hineinliefen. Düstere Wälder nehmen zu stundenlangem Wandel auf. Dann wieder kann der Frühling die Täler in ein Blütenmeer verwandeln, und über die Erde ist fast südlicher Himmel ausgespannt. Seit den ersten Kindheitstagen hatte Jean Paul diese Stätten nicht wieder besucht, aber die Landschaft war ihm im Gedächtnis hängengeblieben. Alle seine Romane spielen in ihr, vereinigen ihre düstere Entlegenheit mit dem romantischen Zauber der Gebirge und den freundlichen Idyllen ihrer Dörfer.
Diese Gegend benennt er mit Namen in seiner Vorrede zur »Unsichtbaren Loge«. Er fingiert zu schreiben, während er sich in einer Sänfte auf den Fichtelberg tragen läßt. Erst oben auf der höchsten Höhe will er hinaussteigen und den Frühling ringsum mit einem Male über sich kommen lassen. Während der Fahrt schreibt er die eigentliche Vorrede nach Art seiner Satiren, sich mit den Rezensenten und der französischen Schreibart auseinandersetzend. Endlich ist er oben angekommen, aber mit einer Binde vor den Augen tritt er hinaus. »Erhabene Paradiese liegen um mich ungesehen.« »Nun tritt auch die Erdensonne auf die Erdengebirge und von diesen Felsenstufen in ihr heiliges Grab; die unendliche Erde rückt ihre großen Glieder zum Schlafe zurecht und schließet ein Tausend ihrer Augen um das andere zu. Ach, welche Lichter und Schatten, Höhen und Tiefen, Farben und Wolken werden draußen kämpfen und spielen und den Himmel mit der Erde verknüpfen, sobald ich hinaustrete (noch ein Augenblick steht zwischen mir und dem Elysium), so stehen alle Berge vor der zerschmolzenen Goldstufe, der Sonne überflossen da – Goldadern schwimmen auf den schwarzen Nacht-Schlacken, unter denen Städte und Täler überflossen liegen – Gebirge schauen mit ihren Gipfeln gen Himmel, legen ihre festen Meilenarme um die blühende Erde, und Ströme tropfen von ihnen, seitdem sie sich aufgerichtet aus dem uferlosen Meer – Länder schlafen an Ländern, und unbewegliche Wälder an Wäldern, und über der Schlafstätte der ruhenden Riesen spielet ein gaukelnder Nachtschmetterling und ein hüpfendes Licht, und rund um die große Sonne zieht sich wie um unser Leben ein hoher Nebel. – – Ich gehe jetzo hinaus und sink’ an die sterbende Sonne und an die entschlafende Erde. – – Ich trat hinaus – –«
Weit über der einschlummernden Heimat, von den Gipfeln des Schneebergs tritt Jean Paul in die Welt. Nie ist dieses erste Hinaustreten eines Dichters in einem größeren Symbol erblickt worden. Wer nur die Vorrede des Buches bis hierher las, mußte erkennen, daß ein Gewaltiger sich die Binde von den Augen gerissen hatte und hinausgetreten war.
Wie immer in seinen Romanen beginnt Jean Paul mit einer höchst seltsamen Situation, die einen Teil der Geschichte im voraus bestimmt. Herr Oberstforstmeister von Knör will seine schöne und kluge Tochter Ernestine nur einem Freier geben, der sie im Schachspiel besiegt. Seine dem Herrnhutismus zugeneigte Gattin hingegen stellt für die zukünftige Ehe die Bedingung, daß das erste Kind nach Herrnhuter Weise die ersten acht Jahre unter der Erde verbringe. Rittmeister von Falkenberg freit um Ernestine. Er kann sie zwar nicht im Spiel besiegen, aber sie hilft ihm durch List. Eine von ihr abgerichtete Katze wirft das Schachspiel um, und des Rittmeisters gerade anwesender Freund, Dr. Fenk, behauptet, daß der Rittmeister diese letzte Partie unweigerlich gewonnen haben würde. Ehe die Anwesenden recht zur Besinnung kommen, ist die Verlobung geschlossen. Ernestine folgt Falkenberg auf sein Erbgut Auenthal.
Gustav, das erste Kind dieser Ehe, soll unter der Erde erzogen werden. Ein Herrnhuter Geistlicher, der Genius genannt, leitet diese seltsame Erziehung. Eine alte Felsenhöhle im Garten nimmt den Genius mit seinem Zögling und einem Pudel auf. Mit den ersten Eindrücken des Knaben beginnt die eigentliche Erzählung. Auf eigenartige Weise bereitet der Herrnhuter seinen
Weitere Kostenlose Bücher