Saemtliche Werke von Jean Paul
Sorgfalt vor uns hinstellen und aufweisen, wie weltverschieden das weite deutsche Land mit seinen verstreuten Dörfern und kleinen Städten von der gedrängten Polis Athen oder der Weltstadt Rom war. Nach beiden Richtungen hin hat Jean Paul sich betätigt. Als die gelungenste Karikatur des mit Griechentum geladenen Schultyrannen hat er uns seinen Rektor Florian Fälbel geschenkt, und die Idylle des deutschen Schulmeisterlebens in den unsterblichen Gestalten des vergnügten Schulmeisterleins Maria Wuz und seines Quintus Fixlein für alle Zeiten festgehalten.
Schon am 15. Juli 1790 lag der Plan des Florian Fälbel in Jean Pauls Kopfe fertig. Der Titel steht als erster in einer Reihe von Plänen, die er an Christian Otto schickte mit der Bitte, ihm diejenigen zu bezeichnen, die er ihm zur fertigen Ausarbeitung aufgäbe. Der Fälbel war unter den von Otto bezeichneten Stücken. Im Dezember schickte Otto dem Freunde nach Schwarzenbach einige Aufzeichnungen, die ursprünglich für das Höfer Intelligenzblatt bestimmt waren. Darunter befand sich das geschriebene Porträt des damaligen Quartus am Höfer Gymnasium, späteren Rektors Helfrecht. Jean Paul quittiert darüber in seinem Schreiben vom Weihnachtsabend 1790: »Deine Schwefelpaste vom Quartusgesicht werd ich wirklich zu nichts brauchen können als einmal zu einem Plagiat; irgendeiner Satire (und wär’s die von Fälbels Primanerreise) häng ich dieses Medaillon um.« Damit ist das Urbild des köstlichen Rektors Fälbel bezeichnet. Helfrecht hat sich später in der Satire offenbar schnell erkannt, zumal in ihr seine Beschreibung des Fichtelgebirges namentlich angeführt wird, und mit einem anonymen Pasquill geantwortet, dem er eine echt schulmeisterlich pseudopoetische Einkleidung gab: »Shakal, der schöne Geist. Fragment einer Biographie aus dem vierzehnten Jahrhundert, von dem Araber Albezor.« Shakal ist natürlich Jean Paul.
Im Februar des nächsten Jahres hatte Jean Paul den »Fälbel« in Arbeit genommen. Er schreibt darüber an Otto: »Ich habe bisher jede satirische Personage wie eine Pfänderstatue angesehen, die man mit allem Möglichen besteckt und umhängt: Du gewöhntest mich halb davon ab; aber desto kahler steht vielleicht alles da, besonders mein armer Fälbel, an den ich, ohne Deine kritische Ordnung des Heils, sicher alles Närrische gepicht und geheftet hätte, was von den weitesten Sprüngen der Phantasie wäre aufzutreiben und zu erspringen gewesen.« Es kostete Jean Paul demnach einige Mühe, eine Gestalt ohne viele Seitensprünge sauber herauszuarbeiten und einen Einfall lediglich auf sich selbst zu stellen. Indes schlug der angewandte Selbstzwang der kleinen Arbeit zum Besten aus. »Des Rektors Florian Fälbels und seiner Primaner Reise nach dem Fichtelberg« ist ein Kabinettsstück der Porträtkunst geworden, das auch heute noch dem Durchschnittsleser unmittelbar einleuchtet.
Die kleine Schrift gibt sich als Aufsatz eines Schulrektors im Michaelisprogramm seines Gymnasiums. »Mein lateinisches Osterprogramm, das erweisen sollte, daß schon die ältesten Völker und Menschen, besonders die Patriarchen und klassischen Autoren, sich auf Reisen gemacht – von welchen letzteren ich nur den Xenophon und Cäsar, die zwei tapfersten Stilisten, mit ihren Armeen wieder zitiere –, führet vielleicht einige Autoritäten auf, die den Schulmann decken, der mit seinen Untergebenen kurze Ausflüge in deutsche Kreise tut.« So beginnt Florian Fälbel seine Ausführungen. Die Tonart ist damit gegeben: die innere Unsicherheit, die sich mit überlieferter Autorität deckt; die innere Unwahrhaftigkeit, die den Schulausflug mit der Fahrt der Zehntausend in Parallele stellt; schon im Stil das trotzende Prunken mit gleißender Gelehrsamkeit. Diese Tonart wird durchgehalten. Die Darstellung ist die eines Gymnasialprogramms der damaligen und mancher folgenden Zeit. Die »scherzhaften« Umschreibungen für die den Rektor auf der Fahrt ins Fichtelgebirge begleitenden Primaner, wie »Nomaden« oder »Hopliten«, die Ausdrücke klassischer Autoren, hier auf eine Schulfahrt angewandt, die lateinischen Sprechübungen während des »geübten« Naturgenusses, das erstrebte und nach Kommando eingeübte »weltmännische« Betragen: tausend Züge, mit dem schwerfälligen Sprachschatz des bornierten Schulmannes zum unfreiwilligen Ausdruck gebracht, heben fast jedes Wort als eine Pointe heraus. Natürlich ist die ganze Tour ohne sachgemäße Vorbereitung unternommen worden
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