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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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anleiten und er endete bei einem Übermaß schriftlicher Ausarbeitungen. Er wollte seine Kinder zum »Witz« anleiten, und er erreichte schriftliche Ausarbeitungen über den Witz.
    Um diese Anleitung zum Witz im Jean Paulschen Sinne drehte sich ein großer Teil seines Unterrichts. Durch den geweckten Witz dachte er dem jugendlichen Geist die Schwerfälligkeit, das Haften am fixierten Ausdruck zu benehmen. Er wollte sie anregen, das Entfernteste mit dem Nächsten zu verbinden, eine Kunst, die er selbst unübertrefflich handhabte. Wenn er solche Gegenüberstellungen wie »Frühstück« und »Spätstück« macht, so drang er damit allerdings zu dem eigentümlichen Leben des Wortes vor und belud es mit neuer Bedeutung und Eigenart. Ganz dicht kam er bei diesen Bemühungen bis an die Schwelle des Richtigen. Es fehlte ihm nur das Erlebnis des Etymologischen, um auf diesem Wege den Kindern das tiefste Verständnis für Sprache und Wort zu erschließen. Man sieht ihn auf dem Wege umhertasten, dem Geist der Schüler die letzte Beweglichkeit und Geschmeidigkeit zu geben, und es ist ganz sicher, daß er ihnen mit seinen Witzübungen eine ungeahnte Welt erschlossen hat. Was aber schließlich herauskam, waren solche Bonmots, wie sie in der »Bonmots-Anthologie« seiner Schüler aufgezeichnet sind, etwa: »Die Maultiere, die von Pferden und Eseln entstehen, sind die Kreolen, die aus der Ehe eines Amerikaners und einer Europäerin entstehen.« Oder: »Das Gehen ist ein immerwährendes Fallen.« Oder: »Die lutherische Religion und die Renntiere vertragen die Wärme des Südens nicht.« Man sieht mit einem Blick: es war der Satirenschreiber, der hier dem Seelenlöser in den Weg trat. Und ein wenig mochte er sich vielleicht im Rektor Fälbel selbst verspotten, wenn er mit Übungen, denen eine gewisse Schablone und Pedanterie nicht abzustreiten ist, Gelenkigkeit des Geistes zu erzielen suchte.
    Und dennoch würde man Unrecht tun, die Mangelhaftigkeit der Ausführung seinen Grundsätzen als Schuld aufzubürden. In der Praxis machte ihm seine überstarke Persönlichkeit und Eigenart einen Strich durch die Rechnung. Der Dichter konnte von der schriftlichen Fixierung nicht abkommen, der Satirenschreiber blieb mit der Ausführung seiner Ideen im 18. Jahrhundert stecken, das über seiner eigenen Kindheit gewaltet hatte. Aber dennoch lag in diesen Erziehungsgrundsätzen eine Zukunft verborgen, die heute noch lange nicht erreicht ist, nicht zum wenigsten deshalb, weil es Erzieher von dem Ausmaß Jean Pauls immer nur in kleiner Anzahl geben wird. Wie er auf Kinder wirkte, davon legen seine Kinderfreundschaften noch in seinen spätesten Jahren Zeugnis ab und die geradezu beispiellose Liebe, die die eigenen Kinder für ihren Vater hatten. Eine Liebe, die seinem einzigen Sohne zum Verhängnis werden sollte.
    Er lebte mit seinen Kindern, er trug ihnen hundertfach gesteigertes Leben zu und ließ die Eltern an diesem Leben teilnehmen, oder vielmehr: er drängte es den Eltern auf. Wie ein Prophet wirkte er in dem kleinen Menschenkreise, überall die blühende Seele weckend und zum Lichte kehrend, und vielleicht hat er auf die Eltern noch stärker eingewirkt als auf seine Zöglinge. Die Mittwochnachmittage in dem kleinen Birkengasthof draußen waren allen Teilnehmern unvergeßlich. Die »Birkenpredigt«, die er dort einmal hielt, atmet den frischen Geist einer lebensvollen Freudigkeit, die über alle Kümmernisse des Daseins siegt. Weit hinter ihm lag Hof mit seinen peinlichen Erinnerungen, und nur der Kreis der Freunde und Freundinnen zog ihn immer wieder in die Stadt. In diesen Lebensumständen wurde die »Unsichtbare Loge« geschrieben, in den wenigen Stunden, die sein Beruf ihm freiließ, entstanden die Gesichte eines Dichters voll unerschöpflichem Reichtum, und wohl mochte er fühlen, daß diesmal sein Eintritt in die Welt der Großen sich unaufhaltsam vorbereitete.
    Gerade weil er sich über diese schweigende Welt seiner Heimat, die so verloren in den Tälern des Fichtelgebirges lag, zu erheben im Begriff stand, gerade deshalb konnte er sie mit einer liebenden Seele umfassen. Was um ihn lag, das war Dasein schlechthin. Es gibt eine Windstille, die sich manchmal für Jahre oder Jahrzehnte über einen kleinen Erdteil legt. Ringsum brausen die Stürme der Geschichte, und große Ereignisse bereiten sich vor. Aber neben den Ländern, die der Sturm der neuen Schichtung und Geschichte schon ergreift, liegen andere noch im tiefsten Dämmerschlaf. Von

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