Saemtliche Werke von Jean Paul
Briefe voll erhebenden Trostes. Auch dieser Briefwechsel zog sich durch einige Jahre hindurch. Die bedeutendste und einschneidenste Freundschaft war aber die mit Emilie von Berlepsch.
Jean Paul hatte gerade mit der Ausarbeitung des »Titan« begonnen, als diese neue Freundin dazwischenfuhr. Anfang Juli 1797 traf Emilie in Hof ein. In Weimar hatte sie mit der Herzogin Amalie wie mit Herders freundschaftlich verkehrt und unter lebhafter Zustimmung namentlich Herders Dramen und andere Dichtungen von sich vorgelesen. Das gleiche hatte sie in Göttingen getan. Von Karoline Böhmer, der späteren Gattin A. W. Schlegels und Schellings, haben wir einen Bericht über ihr dortiges Auftreten. Karoline spottet darin, daß sie für ihre Vorlesungen junge Herren werbe und die alten mit aristokratischen Zauberkünsten zwinge. Auch über ihre »Elisabethstracht aus dem Carlos« spottet sie. An diesem Spott mochte manches berechtigt erscheinen. Emilie von Berlepsch hatte bereits eine bewegte Vergangenheit hinter sich. Im Jahre 1755 geboren, war sie mit siebzehn Jahren mit dem hannöverschen Hofrichter und Landrat von Berlepsch verheiratet worden. Die Ehe wurde sehr bald unglücklich. Den Sommer verbrachte Emilie regelmäßig auf Schloß Berlepsch, während ihr Gatte in Hannover wohnte, verbrauchte Unsummen Geldes und hatte für alle Schöngeister der Zeit stets ein offenes Haus, so daß schon damals Gerüchte über ihren Lebenswandel sich verbreiteten. Seit Anfang der neunziger Jahre befand sie sich regelmäßig auf Reisen, wurde jedoch erst 1797 von ihrem Gatten endgültig geschieden.
Trotz der hämischen Urteile der Frau von Stein und anderer über sie muß der Zauber dieser Frau sehr stark gewesen sein. Jean Paul erlag ihm vollständig. Seine Mutter war gerade in dieser Zeit schwer erkrankt. »Jetzt geb’ ich ihr mit Wissen des D. Rheinwein. Meine Sache ist jetzt, mehr für ihren Gaumen als Magen zu sorgen: denn ich errate das Schicksal«, schreibt er in diesen Tagen an Otto. Trotzdem widmete er seine ganze Zeit der neuen Freundin. Gerade für seinen »Titan« versprach er sich von diesem neuen Titanidenerlebnis Ungeheures. Trotz des bedenklichen Zustandes der Mutter reiste er zu Emilie, die nach Eger und Franzensbad gefahren war. Dort schreckte ihn schon am nächsten Tage die Nachricht vom Tode der Mutter empor. Er reiste nach Hof, um die beklagenswerte alte Frau, die gerade an der Schwelle einer besseren Zeit hinweggerafft wurde, zu begraben. Schwer lag es ihm auf der Seele, daß er, der allen zu helfen gewohnt war, gerade im Sterben die Mutter allein ließ. Und mit unendlicher Rührung erfüllte ihn ein kleines Büchlein, das er in ihrem Nachlaß fand. »Was ich ersponnen«, hatte die Mutter auf die Vorderseite geschrieben, und der Inhalt bestand aus der Aufzählung der wenigen Pfennige, die die ärmste durch Spinnen in der Zeit vom März 1793 bis zum September 1794 verdient hatte. Drei Tage lang nach dem Begräbnis trug er »dem Schmerze die schwersten Steuern« ab, dann kehrte er nach Franzensbad zurück, um im Verkehr mit Emilie über den Verlust hinwegzukommen. »Du hast vielleicht schon gelesen,« schrieb er kurz darauf an Oerthel, »daß das Geschick meine gute Mutter, deren opferndes Herz ich ein wenig belohnen und erfreuen wollte, mit einer langsamen stumpfen Sense von meiner Seele und von diesem Leben abgeschnitten. Ach ich würd’ ihr gern die Ruhe gönnen, hätte die Arme sie früher gehabt, ohne das Grab. Nunmehr ist Hof düster, eng und ein drückender umschließender Schacht für mich.«
Mit der Mutter war der Faden durchgeschnitten, der ihn noch an Hof gefesselt hatte. Wohin sollte er nun seine Schritte lenken? Das Nächstliegende war Weimar, aber die dortigen Verhältnisse hatten sich immer trüber entwickelt. Herder hatte sich nach dem Bruch mit Goethe von aller Welt zurückgezogen, und vielleicht mochte Jean Paul sogar ein näheres Zusammensein mit dem verehrten Manne fürchten. Sicher ging er auch Goethe aus dem Wege, wenn er den Gedanken, nach Weimar zu ziehen, endgültig verwarf. In den letzten Monaten des Höfer Aufenthalts selbst setzte er sich noch einmal in einem Brief an Karoline Herder mit Goethe auseinander. Herders hatten ihm die dritte Sammlung der »Christlichen Schriften« übersandt. »Goethe dichtete früher so,« schrieb Jean Paul ihnen zurück;»aber nun liebt er den Stoff nirgends mehr als an seinem Leibe und quälet uns mit seinen ausgetrockneten Weisen à la grec . Ich hoff’ es
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