Saemtliche Werke von Jean Paul
bin Roquairols Witwe!« ruft Linda aus. »Und das bleibst du!« antwortet Albano hart und geht fort. Wie ein Kirchhof liegt sein bisheriges Leben um ihn her. Jetzt wird er in den Krieg gehen. Aber wie in harten Gewitterschlägen wird die geladene Atmosphäre gereinigt. Fürst Luigi stirbt. Albanos Abstammung wird offenbar. Er ist der Erbe des Throns. Die Aufklärungen überstürzen sich. Wahres mischt sich mit Falschem. Schoppe selbst glaubt entdecken zu müssen, daß Linda und Albano Geschwister sind. In furchtbarer Spannung löst sich der Knoten durch das Testament von Albanos Mutter, die, wie er jetzt erst ganz überraschend erfährt, nicht die Gräfin de Cesara sondern die alte verstorbene Fürstin ist. Linda, die mit Cesara geflüchtet ist, wird als Tochter des Ritters de Cesara festgestellt. In dieses wilde Durcheinander fällt der Tod Schoppes in dem Augenblick, als sein alter Freund Siebenkäs ihn aufsucht. In Albano selbst drängt es zur inneren Klärung. An Lianens Grab begegnet er Idoine, die zu ihrer Schwester, der Fürstin gereist ist. Zum erstenmal sieht Albano das Ebenbild seiner ersten Geliebten, seit sie ihm in den Fieberträumen als Retterin erschien. Jetzt wird es ihm klar, daß er immer Idoine liebte. Daß Idoine von Liebe zu ihm ergriffen war, wußte Julienne, die treue liebende Schwester, schon lange. Am Abend, da Luigi in der Blumenbühler Kirche beigesetzt wird, gehen die drei liebenden Menschen durch die Zaubernacht von Lilar. Albano und Idoine finden sich. Versunken stehen sie Arm in Arm beieinander. Julienne ruft die Liebenden auf: »Schauet auf zum schönen Himmel! der Regenbogen des ewigen Friedens blüht an ihm, und die Gewitter sind vorüber, und die Welt ist so hell und grün – wacht auf, meine Geschwister!«
»Titan sollte heißen Anti-Titan,« schrieb Jean Paul am 8. September 1803 an Friedrich Jacobi; »jeder Himmelsstürmer findet seine Hölle; wie jeder Berg zuletzt seine Ebene aus seinem Tale macht. Das Buch ist der Streit der Kraft mit der Harmonie. Sogar Liane, Schoppe müssen durch Einkräftigkeit versinken; Albano streift daran und leidet wenigstens.« Hier ist der Sinn des »Kardinalwerkes« eindeutig festgelegt. Um den Streit zwischen Harmonie, das heißt zwischen allseitiger Ausbildung des Menschen, und einseitiger Kraft, das heißt Einkräftigkeit, handelt es sich. Man könnte bei diesen Worten fast an Goethes Lebensprogramm denken. Aber gerade die Abrechnung mit Goethe sollte hier vollzogen werden. Zwar schließt auch Goethes Persönlichkeitsbegriff die Harmonie und den Gegensatz zu jeder »Einkräftigkeit« ein. Aber das war ja gerade aufzuzeigen, daß Goethes »Harmonie« eine einseitig ästhetisch fundierte Einkräftigkeit ist. Zu Harmonie, wie Jean Paul sie verstand, gehörte volles Umfassen auch der zeitlichen Strömungen und auch kämpferischen Menschentums. Verzicht auf die deutsche Verwirklichung war schon Herausfallen aus dem harmonischen Kreis des Daseins, der immer wieder durch Tat gerundet werden muß. Wir sprachen schon davon, wie anders Jean Paul seinen Helden auf die Berührung mit der Antike reagieren läßt als Goethe. Hier, in der Reise Albanos nach Italien, war die Welt Jean Pauls in offensichtlicher und bewußter Parallele gegen die Gedankenwelt Goethes abgegrenzt. Bei Jean Paul das Erstarken an einer heroischen Vergangenheit, bei Goethe das Hineinflüchten in eine vergangene Formenwelt. Aber nicht nur in diesem Schnittpunkt wird der Gegensatz deutlich, durch den ganzen Roman zieht er sich greifbar hindurch. In den »Wilhelm Meister« hatte Goethe das Theater als wichtigstes Bildungselement hineinbezogen. Welche andere Rolle spielt das Theater im »Titan«! Die charakterlose Selbstbespiegelung eines sich selbst verbrennenden Phantasten, eines Selbstmörders, eines, der nur vom Widerschein der Kunst und der Sensation lebt: das war das Theater im »Titan«. Schärfer konnte der Gegensatz nicht mehr gespannt werden.
Die Begebenheiten des Romans hatten alles Gedankliche in sich eingesogen. Die hinter dem Werk stehende Idee ist restlos Form und Schicksal geworden. Äußerlich betrachtet, hatte sich der Dichter nicht allzu weit von der »Unsichtbaren Loge« und dem »Hesperus« entfernt. Aber ein Neues war hinzugetreten. In seinen Personen und ihren Handlungen hatte sich die Gedankenwelt seiner Zeit manifestiert. Wohl stehen die Personen mit ihren Schicksalen für sich da und sind Menschen, die als solche im Innersten ergreifen. Aber sie sind
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