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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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zugleich Träger der Ideen der Zeit. Klassik und Romantik, Sturm und Drang und Aufklärung spiegeln sich in ihnen wider, und alle empfangen sie aus der Hand des Schicksals ihren Lohn. Zwar wird es ein vergebliches Bemühen bleiben, die einzelnen Personen mit den großen Zeitgenossen zu personifizieren. Weder ist der Ritter Gaspard de Cesara Goethe oder Schiller, noch kann man in Dian Herder, in Roquairol Friedrich Schlegel oder gar Brentano erkennen, noch haben wir in dem Kunstrat Fraischdörfer August Wilhelm Schlegel zu sehen. Der »Titan« ist kein Schlüsselroman. Aber die Welt, wie sie an der Jahrhundertwende von den Großen des Geistes repräsentiert wird, die finden wir in dem Roman wieder. Und auf einen tiefgreifenden Unterschied zu Goethes »Wilhelm Meister« sei gleich hier hingewiesen: Bei Goethe werden die Personen immer mehr Repräsentanten einer Weltanschauung, werden immer ärmer an individuellem Leben. Ganz anders im »Titan«! Auch hier setzt sich die Welt Jean Pauls deutlich gegen die Welt Goethes ab. Er gibt Schicksal und Erschütterung. Seine Menschen sind. Eine Glut der Leidenschaft ist über das Ganze ausgegossen, neben der der »Wilhelm Meister« als eine rein gehirnliche Angelegenheit wirkt. Goethe projiziert seine Gedanken auf die Fläche zeichnerischer Darstellung, Jean Paul aber gibt die dynamisch geladene dreidimensionale Welt schwingender Tonkörper. Seine Menschen sind Bild und Rede in einem, stehen wie Welten voller Atmosphäre da, bedeuten nicht nur, sondern wirken sich aus. Jean Paul nennt die Dinge nicht nur beim Namen, er zaubert sie hervor. Wenn wir die beiden repräsentablen Romane ihrer Zeit, den »Titan« und die »Lehrjahre«, als Kunstwerke miteinander vergleichen, so kann gar keine Frage sein, daß der »Titan« das ungleich gewichtigere Werk ist.
    Wie aber kommt es nun, daß der »Titan« über ein Jahrhundert lang vergessen werden konnte, während die »Lehrjahre« heute noch als der Bildungsroman jener Jahrhundertwende ihren Platz behaupten? Gerade infolge der menschlichen Schwere des »Titan«! Gerade deswegen, weil er ein tiefes künstlerisches Werk ist, wird er nicht mit dem Gehirn allein durchmessen. Hier prägt sich kein gedankliches Fazit dem Gedächtnis ein, hier ist alles auf seelische Erschütterung angelegt. Nur mühsam kann man den Gang der Handlung aus den geballten Stimmungen herausnehmen, ohne das Wertvolle zu zerstören. Die Gedankenwelt ist in die Begebenheiten und die Charaktere kunstvoll eingesenkt. Die Umwälzungen, die Albano durchlebt, müssen auch vom Leser durchlebt werden in blitzhafter Schnelle, oder er hält statt der durchmessenen Welten einen romantischen Stimmungsroman in der Hand, der sich nicht wesentlich von der »Unsichtbaren Loge« oder dem »Hesperus« unterscheidet. Wir haben unserer Untersuchung mit Absicht die nackte Handlung vorangestellt, um sie jetzt mit der darin verborgenen Gedankenwelt zu erfüllen. In der bloßen Handlung mochte uns noch die Welt der ersten Romane Jean Pauls umfangen. Jetzt werden wir sehen, welche gedanklichen Tiefen durch diese Handlung aufgewühlt werden. Sie erschließen sich in den einzelnen Charakteren.
    Wir wissen aus den früheren Kapiteln, in welchem Lichte Jean Paul Goethe und Schiller erschienen. »Goethe, der mit der gleichen Ruhe eine Welt und einen Sperling fallen sieht«, – schrieb er anläßlich des Atheismusstreits über ihn, und die Worte, mit denen er Gaspard de Cesara charakterisiert, sind fast die gleichen, die er von Schiller gebrauchte, als er ihn das erstemal sah: »Ein Cherub mit dem Keime des Abfalls, ein verschmähender, gebietender Geist stand da, der nichts lieben konnte, nicht sein eigenes Herz, kaum ein höheres, einer von jenen Fürchterlichen, die sich über die Menschen, über das Unglück, über die Erde und über das – Gewissen erheben, und denen es gleich gilt, welches Menschenblut sie hingeben, ob fremdes oder ihres.« So tritt Cesara uns zum erstenmal entgegen. Nicht als eine Maske für Goethe oder Schiller, aber immerhin als eine Verkörperung ihrer kalten heroischen Einstellung zu Menschen und zum Leben. Die Urteile, die nach dem Erscheinen der »Xenien« durch die literarische Welt liefen, haben an der Gestalt Gaspards gearbeitet. Wenn Jean Paul den Ritter anredet: »O Gaspard, stehest denn du in der Frontloge und nicht auch auf dem Theater?« so konnten diese Worte direkt an Goethe oder Schiller mit seiner »felsigten Nase« gerichtet sein. Dieser Grundeinstellung

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