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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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unter dem Persönlichkeitsbegriff zu verstecken pflegt. Nicht daß er Goethe und Schiller die Schurkereien eines Bouverot oder Froulay vorwerfen wollte, er zeigte nur mit unerbittlicher Schärfe diese kühle menschenverachtende Einstellung in ihrer letzten Konsequenz. Zeigte das herzlose Menschentum, das sich in der Nachfolge dieser Einstellung mit Notwendigkeit entwickeln muß. Dem »Wilhelm Meister« hielt er hier gewissermaßen seine Kehrseite entgegen, zeigte die »Einkräftigkeit« des anscheinend harmonisch gerundeten ästhetischen, weltabgekehrten Typus. Es war nicht einmal verbrecherische Anlage, die das Tun dieser Menschen bestimmte, sondern es war ein Mangel, Mangel an bewegender Menschenliebe, die sie abhielt, an Gottes irdischer Stadt zu bauen.
    Noch ist in diesen Gaspard, Bouverot, Froulay, Luigi nicht jene Bewegung getroffen, die um die Jahrhundertwende ihren kräftigen Aufschwung nahm: die Romantik, wie sie sich in Friedrich Schlegel und Brentano manifestierte und wie sie ihrem Wesen nach zur »romantischen Ironie« sich langsam zuspitzen mußte. Erst in dieser »romantischen Ironie« war die ästhetische Einstellung auf die höchste Spitze getrieben, war zu einem giftigen Geschwür geworden, das das Empfinden der Zeit von innen her anfressen und zerstören mußte. In Roquairol ist dieser zersetzende Zeitgeist, der damals fast die gesamte literarische Welt beherrschte, Gestalt geworden. Wir haben im vorigen Kapitel Jean Pauls Stellung zur Romantik kennengelernt und haben gesehen, daß starke Verbindungsbrücken zwischen ihm und dieser jungen Bewegung vorhanden waren. Aber es war die schöpferische Romantik, die die seelischen Bindungen des Mittelalters wiederherzustellen suchte, die auf Erneuerung des deutschen Volkstums ausging, die ihren lebendigen Impuls von Herder empfangen hatte – es war diese Seite der Romantik, zu der Jean Paul sich rechnete, nicht jene rationalistische Zuspitzung des ästhetischen Prinzips, die alles Lebendige in Spiel und Spiegel auflöste. Von dieser Entartung trennte er sich entsetzt. Auf philosophischem Gebiet kämpfte er, als er an seinem ersten Band arbeitete, gegen die Verlegung des geistigen Schwerpunktes in das Fichtesche Ich. Dieses Heraustreten aus den Dingen mußte das innere Gleichgewicht aufheben, die Welt zum farbigen Spiel herniederziehen, mußte schließlich das Ich selbst zersetzen. Dieser auflösenden Romantik setzte er im »Titan« die glänzende Gestalt Roquairols als Warnung entgegen.
    Glänzend noch in allen seinen Lastern und Schwächen. Nicht umsonst ließ er den Helden Albano an dieser vom Leben zerfressenen Gestalt sich entflammen. Auch Roquairol ist ein Titan oder ein Pseudotitan. Ganz auf das Ungewöhnliche gestellt, verbrennt sein Leben sich selber und jauchzt in rasendem Wahn den zerflatternden Fetzen des Seins nach. Ein gigantisches Spielen mit den eigenen Lebenskräften, ein geniales Spiegeln im eigenen Werk, ein Hinwegbrausen über alle menschlichen Schranken. Gaspard oder Bouverot haben keinen Gott in der Brust. Roquairol hat ihn, aber er muß ihn verhöhnen und gegen ihn freveln. Wir kennen ihn ganz, seit er das erstemal im Roman auftaucht: als der Knabe, der alle Rollen der Weltliteratur zu agieren weiß; als Selbstmörder aus wahnsinniger Liebe, und nicht allein Selbstmörder, sondern einer, der seine mörderische Selbstzerstörungssucht vor aller Welt auf einem Maskenfest herausschreit, einer, der sich in der Sensation erst zu erleben vermag und der immer sich selbst erleben muß. Und das zweitemal: wenn er beim Prunkbegräbnis des alten Fürsten das Freudenpferd im Trauerzuge reitet, unter dem Ernst des Leichenbegängnisses die grinsende Grimasse einer konventionellen Freude zum äußersten Ausdruck steigert, wie der klaffende Widerspruch des Daseins selbst erscheint und sein Gefallen an diesem Schein einer ganzen Stadt sichtbar macht. Dieser Mensch fühlt nicht mehr, er erlebt nur noch in der literarischen Darstellung, in der Vortäuschung eines Gefühls, im Wortrausch. Und diesen Wortrausch schüttet er über die Menschen um sich aus. Ihm ist kein Schwur, kein Mensch mehr heilig. Eines Theatereffektes wegen wird er den Freund verraten, die Geliebte vernichten und sich selbst die Kugel in den Kopf schießen.
    Das aber ist nur das Schema dieser Gestalt. Sie selbst funkelt in jedem Wort, in jeder Tat. Wenn er unter der Maske Albanos sich der betrogenen Linda nähert, füllt er noch jedes Wort mit teuflischer Zweideutigkeit. Selbst der

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