Saemtliche Werke von Jean Paul
in dem dieser unauflösliche Zwiespalt sich dokumentierte, mußte notwendig seinem ganzen Wesen nach Fragment bleiben. Das Motiv Walt–Wina konnte freilich leicht in einem folgenden Bändchen zu einem Ende geführt werden. Aber zu welchem? War es zu denken, daß aus Wina und dem Träumer Walt ein glückliches Paar wird? Schon beim Schluß des »Siebenkäs« mußte dieser Gedanke auftauchen. Damals war Jean Paul allerdings noch ein Feuergeist, der die glänzenden Frauen der großen Welt leicht in seinen Bann zwingen und unter seine Gewalt bringen konnte. Jetzt war die Jugendkraft von ihm abgefallen. Walt hatte die Innerlichkeit des Armenadvokaten, die sich immerhin auch schon störend zwischen ihn und Natalie drängen mußte, zur äußersten Verinnerlichung gesteigert. Viel weniger als Siebenkäs konnte er imstande sein, auf die Dauer eine Tänzerin und Schlittschuhläuferin wie Wina zu fesseln. Auch schon in diesem Motiv war ein unauflöslicher Konflikt gegeben. Eher hätte man einer Verbindung Vult–Wina ein günstiges Prognostikon stellen können, wenn der frei schweifende Vult von irgendeiner Verbindung überhaupt einzufangen gewesen wäre. Der tiefen Grundlosigkeit seines Wesens ging Wina bewußt aus dem Wege, bereit, sich unter das Joch des reinen Gemüts zu beugen. Und doch kommt es bei ihrem Tanz mit Vult zum Vorschein, wie ihre Frauennatur im Grunde dennoch nach einem ins Grenzenlose Schweifenden verlangt, den nicht zu Fesselnden fesseln möchte. Wie wir das Problem auch wenden wollen, überall stoßen wir auf seine Unauflöslichkeit. Jean Paul hatte selbst ein sicheres Gefühl dafür und hat es deshalb nie ernstlich ins Auge gefaßt, das Werk fortzusetzen. Nur ein Motiv war restlos zu Ende geführt, das, worauf es ihm von Anfang an ankam: der Gegensatz Walt–Vult. Hier waren die letzten menschlichen Tiefen ausgeschöpft. Die Brüder hatten die engste Gemeinschaft gesucht, um sich wieder voneinander fort zu wünschen. Es blieb nichts anderes übrig, als daß Vult, der Flüchtige, sein Ränzel schnürte, um seine heimatlose Wanderung über die Erde fortzusetzen, unfähig, sich der Scholle zu vermählen, sich an das Gegebene zu binden. Als Vult, die Flöte spielend, zum Posthaus wandert, ist ein Lebenskreis durchschritten. Hier stemmte sich ein gewaltiges Ende allen weiteren Fortsetzungsversuchen entgegen. Zwei ewige Menschentypen waren gegeneinander gesetzt. Sie bedurften einander, um gemeinsam des Lebens Harmonie zu finden. Aber ihre Gemeinsamkeit wiederum war unmöglich. Jedes Wesen schloß das des andern aus mit einer unerbittlichen Notwendigkeit. Jeder Schritt des einen mußte zum Triumph über den andern werden. Es gab gar nichts anderes.
In diesem einen Punkte, dem Hauptpunkte, war der Roman zu Ende. Was noch sonst aufzulösen übrigbleiben mochte, war unauflöslich. Jean Paul hatte mit den »Flegeljahren« sich und damit einen wesentlichen Teil des deutschen Menschen auf die äußerste Formel gebracht. Die Antinomien, die hier klaffend blieben, waren die Antinomien des deutschen Menschen. Ein großer Dichter hatte in seinem reifsten Werk sein Wesen zum Wesen seines Volkes erweitert.
Politische Schrifte n
Vier ungeheure Arbeiten hatten die Wanderjahre Jean Pauls beschlossen. Die Anfänge des »Titan« hatten ihn aus Hof in die Welt von Weimar hinausgehoben. Noch ehe die Arbeitsepoche mit den »Flegeljahren« und der »Levana« vollendet war, hatte er sich in die Heimat zurückbegeben, nach Baireuth, in das alte »Mekka« seiner Seele. Am 12. August 1804 langte die Familie in Baireuth an und nahm zunächst auf dem Markt in der Schloßapotheke beim Registrator Schramm Wohnung, zog dann nach kurzer Zeit in die Friedrichstraße zum Justizkommissär Fischer, endlich, im Jahre
1811, in
das Haus des Bankiers Schwabacher, Friedrichstraße 384.
Kurze Zeit nach der Übersiedelung nach Baireuth wurde Jean Pauls zweite Tochter Odilie geboren. Schon in den Jünglingsphantasien hatte er sich vorgestellt, daß er drei Kinder haben würde. Seine Wünsche waren in dieser Hinsicht nun befriedigt. Es heißt, daß er sich von dieser Zeit ab von seiner Frau zurückzog, da er ein viertes Kind nicht mehr verantworten zu können glaubte. Bald nach der Übersiedelung war jedenfalls die bis dahin glückliche Ehe zerstört. Die Kinder freilich behielten die warme Atmosphäre des Elternhauses ihre ganze Kindheit hindurch. Sie blieben des Vaters höchstes Glück. Im übrigen aber lebte er wie ein Junggeselle, sah die
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