Saemtliche Werke von Jean Paul
Familie eigentlich nur zu den Mahlzeiten, die auf den Glockenschlag pünktlich beginnen mußten, wenn er sein Mittagsmahl nicht lieber, wie es bei gutem Wetter und im Sommer fast regelmäßig geschah, in der Rollwenzlei einnahm. Auch in dem eigenen Garten arbeitete er häufig, lieber aber in dem des Kammerrats Miedel vor dem Eremitagentor. Hier saß er gewöhnlich in einer Laube, von wo er eine herrliche Aussicht über das Flußtal des Weißen Mains, St. Georgen, die Eremitage und die fernen Berge des Fichtelgebirges genoß. Auch in dem von Hagenschen Garten vor dem Friedrichstor hielt er sich gerne auf. Sein Lieblingsaufenthalt aber wurde bald die Rollwenzlei. Noch heute ist das Häuschen der Dorothea Rollwenzel, eine halbe Stunde von der Stadt entfernt auf dem Wege nach der Eremitage, dort, wo die alte herrliche Allee nach links abbiegt, die hauptsächliche Erinnerungsstätte an seinen Genius. Durch die Bemühungen einiger Baireuther Freunde Jean Pauls ist das kleine Zimmer, in dem er dort bei schlechtem Wetter zu arbeiten pflegte, wieder einigermaßen instand gesetzt, und die heutige Besitzerin der Rollwenzlei bietet in Charakter und ihrer treuen Jean-Paul-Ergebenheit vielleicht die genaueste Kopie der unvergeßlich gewordenen Rollwenzelin.
Dorothea Rollwenzel war sieben Jahre älter als Jean Paul. Rollwenzel war ihr zweiter Mann. Die Eheleute erwarben das kleine einstöckige Häuschen an der Wegbiegung, in dem sie kurze Zeit darauf eine Wirtschaft einrichteten. Die Konzession erteilte der französische Marschall Junot, weil die Rollwenzelin einen halberfrorenen französischen Soldaten aufopfernd gepflegt hatte. Zu diesem kleinen Häuschen pilgerte Jean Paul fast täglich hinaus. Entweder saß er in dem für ihn bereit gehaltenen Zimmer oder in der kleinen Laube vor dem Hause. Hier sind die meisten Schriften aus der Baireuther Zeit entstanden, von der »Levana« an. Was zog nun den Dichter so stark hierher? Die Aussicht, die er von diesem Häuschen aus hatte und die Besitzerin! Hier lagen die fernen Berge des Fichtelgebirges vor seinem Blick, und malerisch ragte aus der Ferne der Basaltkegel des Rauhen Kulm aus den weicheren und runderen Bergen auf. Es war derselbe Berg, in dem einst sein Großvater seine Gebethöhle sich eingerichtet hatte, und es waren dieselben Berge, hinter denen die Joditzer Frühlinge blühten. Hier lag er seiner Kindheit zu Füßen. Und in Dorothea Rollwenzel war ihm das schlichte Volk verkörpert, dem von jeher seine Liebe gehört hatte. Die fast anbetende Verehrung, die die Rollwenzelin ihm entgegenbrachte, bedeutete ihm die Liebe des ganzen werktätigen Volkes. Das Mitleid mit den Armen und Getriebenen hatte ja von Anfang an im Mittelpunkt seines Denkens gestanden. Noch in der Vorrede zum Siebenkäs und in der »Geschichte meiner Vorrede zur zweiten Auflage des Quintus Fixlein« hatte er davon geträumt, durch sein Schaffen die Tränen der Frauen des armen Volkes zu trocknen und ihre Herzen zu erfreuen. Wohl hatte er inzwischen einsehen müssen, daß in unserer Zivilisation kein Weg von dem Schaffen des Dichters zu den Herzen der armen Volksgenossen geht. Die Kluft zwischen Gebildeten und Ungebildeten war unüberbrückbar. Hier aber hatte das menschliche Herz die Brücke geschlagen. Der Dichter und die Frau aus dem Volke verstanden und liebten sich und fanden sich in herzlicher Arbeitsgemeinschaft. Was er ihr bieten konnte, war wenig, und es kann wohl als ausgeschlossen gelten, daß sie ein näheres Verhältnis zu seinem Schaffen gehabt hat. Aber aus seiner Persönlichkeit heraus verstand sie ihn und richtete sich das Werk, das hinter diesem von ihr angebeteten Menschen stand, nach ihren eigenen Maßen in ihrer Phantasie zurecht. Viel mehr als er ihr konnte sie ihm geben. Nicht nur den delikatesten Kaffee und den schmackhaftesten Braten, sondern das liebevollste Aufpassen auf seine kleinsten Wünsche, die Atmosphäre des Volkes, aus dem er stammte. Das war wohl der Hauptanziehungspunkt für ihn. Die schönsten Frauen der großen Welt hatten ihm zu Füßen gelegen, jetzt aber fühlte er sich in der Rollwenzlei noch mehr zu Hause als selbst bei seiner eigenen Frau. Seine Kindheit stieg bei der Rollwenzelin vor ihm auf. Sie hatte keine Ähnlichkeit mit seiner Mutter, aber doch muß sie ihm diese Mutter irgendwie verkörpert haben. Sie schlug den Bannkreis seiner Jugend wieder um ihn.
Die Rollwenzelin hat sich nach Jean Pauls Tode zu einigen Besuchern über ihr Verhältnis zu dem Dichter
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