Saemtliche Werke von Jean Paul
als auf der Schlachtbühne, und dort ein siegendes Heer, da ein fliehender Mann. Ein Dichter als solcher wirkt auf den Weltkreis; ein Mensch auf den Familienkreis. Wahrlich, in dieser tiefen einsinkenden Zeit, über diesem Morast voll Übel, halten beinahe nur noch die Schriften das Große, Gute, Wahre, Schöne wie mit Flammen und im Äther aufrecht und emporgehoben, und in Bibliotheken wird einst die Auferstehung der geistig Toten sein und ein tausendjähriges Reich anfangen hinter dem Deutschen. – Übrigens teil’ ich all Ihre patriotische Glut und knirsche so oft mit den Zähnen als irgendein Deutscher. Alle meine Werke sind wie mein Leben Freigeborene, keine Sklavenkinder irgendeiner knechtischen Absicht. Darum bleib’ ich auch arm. Taug’ ich in Ihren Bund ebenso gut mit meinen Kräften – bloße poetische tun’s nicht – als mit meinen Gesinnungen, welche die Ihrigen sind: so will ich gern ein Dorn, ein Stil, ein Blatt in diesem Kranze sein.« –
Perthes hatte, wie er als Antwort schrieb, nicht an einen festen Bund, sondern mehr an ein »Verständnis« deutscher Männer gedacht. Aber wichtig bleibt dieser Brief Jean Pauls als Auftakt seiner politischen Schriften. »Oesterreich verdient keine Erhaltung.« Das war das Wichtige. In dem Kampf Napoleons gegen die überalterten und anämischen Staatsgebilde Mitteleuropas nimmt Jean Paul Partei für den Genius Napoleons. Es erschien ihm kein Unglück, wenn Österreich unter den Streichen des Korsen hinsank. Deutschland, »das sonst wie eine Schildkröte zwischen zwei entgegengesetzten Schilden, zwischen dem preußischen und dem österreichischen, sich bewegte und deckte«, schrieb er später in seiner »Friedenspredigt«. Das war der springende Punkt. Deutschland war zwischen Preußen und Österreich eingeklemmt. Die beiden Ostreiche, beide auf Kolonialboden entstanden, hatten ein unorganisches Übergewicht in Deutschland erlangt, das die alten deutschen Stammlande ersticken mußte. Jean Paul war also antipreußisch und antiösterreichisch gesinnt, weil er deutschgesinnt war. Diesen Richtungspunkt müssen wir im Auge behalten, wenn wir die kommenden Ausführungen des Dichters verstehen wollen. Er konnte in Napoleon zunächst nicht den Feind Deutschlands sehen, weil er Österreich niederwarf und Preußen bedrohte. Napoleon schien ihm vielmehr die Bahn frei zu machen für eine deutsche Verwirklichung, zu der Jean Paul den verheißungsvollen Anfang im Rheinbund sah. Ein sehr mißverständlicher Standpunkt in der damaligen Zeit. Der Herzog von Gotha, eben noch sein Bundesgenosse in dem »Freiheitsbüchlein«, schrieb ihm denn auch, als sich Jean Paul für eine Gehaltszulage des in Gotha lebenden Bräutigams einer Tochter des großen Schlözer bei ihm bemühte, daß er, der Herzog, nicht imstande sei, alle »alten und neuen Schulden Jean Pauls um Deutschland und Frankreich zugleich in den Lethe zu schleppen«. Und dennoch war gerade Jean Paul Deutschlands treuester Sohn. Varnhagen war erstaunt, als er Jean Paul im Oktober 1808 besuchte, über dessen deutsche Gesinnung. »Was Jean Paul sagte, war tief, verständig, herzlich, tapfer, deutsch bis in die kleinste Faser hinein; kurz, tausendmal besser als seine Friedenspredigt, über die wir uns in Berlin geärgert hatten… . Jean Paul zweifelte keinen Augenblick, daß die Deutschen nicht gleich den Spaniern sich erheben, daß die Preußen ihre Schmach rächen und das Vaterland befreien würden; er hoffte, sein Sohn werde es erleben, und wollte nicht leugnen, daß er ihn zum Soldaten erziehe.« Auch hier zeigte sich, daß die »Friedenspredigt« wiederum mißverstanden war. Jean Paul durchdachte das deutsche Problem nur in seiner ganzen Tiefe. Ja, man kann sagen, daß er nach der Schlacht bei Jena keinen andern Gedanken mehr hatte, der nicht der Wiederaufrichtung des Vaterlandes diente. Nur darin sah er eben tiefer als alle andern, daß er die Vorherrschaft Preußens oder Österreichs in Deutschland gebrochen sehen und den Schwerpunkt wieder in die alten Stammländer verlegt wissen wollte. Die Entwicklung ging auch hier anders, als er es ersehnte. Preußen und Österreich gingen gestärkt aus dem Kampf hervor, und der Erfolg war das Ende der deutschen Kultur.
Wie Jean Paul mit dem Phänomen Napoleon gerungen hat, davon geben zwei Tagebucheintragungen vom Anfang und Ende des Jahres 1805 Kunde. »Wüßt’ ich gewiß, daß Bonaparte Unrecht hätte – und ebenso gewiß alle gerechten Mittel gegen ihn, o so wäre es
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