Saemtliche Werke von Jean Paul
ja leicht, selbst ein Leben gegen ihn zu wagen durch Schrift. Aber diese Ungewißheit lähmt so fürchterlich den Mut, den kosmopolitischen, der durchaus seine Zwecke in der Folge suchen muß. Dies ist eben, was die Welt verwirrt und aufhält, daß unter so tausend Verwickelungen des Menschenwohles keine aufopfernde Seele so leicht – gebe sie immer das Leben hin – das Rechte ausfindet. Das moralische Prinzip des besten Willens hilft hier nichts, weil ich eben hier Materie brauche für das beste Wollen.« Kants Prinzip des kategorischen Imperativs ließ den Ringenden hier allein. Am Ende des Jahres 1805 schrieb er ins Tagebuch: »Man muß durchaus die Zeit, und Bonaparten in ihr, nicht aus dem Gesichtspunkt der Individualität und Moralität, sondern aus dem der Weltbürgerlichkeit betrachten. Alles Große war Anfangs zu groß und stach und quälte; erst dem fernen Auge schliffen sich die Spitzen ab.«
Aus dem »Gesichtspunkt der Weltbürgerlichkeit« war Napoleon zu betrachten, diese Weltbürgerlichkeit mit der ganzen schweren Verantwortung für das Menschengeschlecht belastet. Wir werden noch sehen, wie sich unter diesem Standpunkt der Weltbürgerlichkeit das Problem Napoleon-Deutschland ausnahm. Jedenfalls war dieser weltbürgerliche Standpunkt keine feige Entschuldigung für ein egoistisches Sich-aus-den-Dingen-Herausziehen. Im Gegenteil, hier wurde jedes Wort mit kosmischer Verantwortung für den Gang der Menschengeschichte beladen. Und Jean Pauls Haltung sofort nach dem Zusammenbruch zeigte, wie ernst er die Aufgabe des Dichters in dieser Zeit empfand. Ganz anders als Goethe. Tiefer kann den tiefen Wesensunterschied zwischen Goethe und Jean Paul nichts bezeichnen als ihre verschiedene Haltung nach der Schlacht von Jena. Am 8. Januar 1807 schrieb Knebel an Jean Paul: »Wie geht es Ihnen? Was machen Sie in dieser politischen Pestzeit? Wir sind wohl, und gottseidank! soweit ungeplündert geblieben, außer was wir durch die allgemeine Not verloren haben. Den mächtigen Kaiser haben wir mitten in den Flammen gesehen. Goethe schickte mir in meiner Not ein paar Flaschen Kapwein, die gerade recht kamen zu einem Mann, den die Franzosen ganz aufs Trockene gesetzt. Er selbst war die ganze Zeit mit seiner Optik beschäftigt. Wir studieren hier unter seiner Anleitung Osteologie, wozu es passende Zeit ist, da alle Felder mit Präparaten besät sind. Wir leben einsam, aber nicht unmutig noch unglücklich, vielmehr heiter.« Auf den Schlachtfeldern sammelte Goethe die Präparate zu seinen osteologischen Studien. Ein Zynismus, so groß und kalt, daß er schon ins Heroische sich wendet.
»Man hat immer«, schrieb Knebel ein Jahr später, »das Philosophische und Moralische vom Politischen getrennt und geglaubt, daß ein Staat durch andere Mittel fest, glücklich und brav werden könne, als wodurch es der einzelne Mensch wird. Man hat Kriegshelden bilden wollen, ohne verständige zu bilden; durch Exerzieren aber allein wird keiner weise, noch weiß er, wie man sich in Gefahren betragen soll. Genug! nun müssen Völker die Verirrungen der Vernunft büßen. Das ist ihr Los.« Aber gerade infolge dieser Trennung des Politischen vom Moralischen und Philosophischen war ja der beispiellose Zusammenbruch gekommen. Aus dem Philosophischen und Moralischen mußte die Rettung kommen. Gerade in jenen Tagen schrieb Jean Paul an seine alte Freundin Renata Wirth, um sie über den Tod ihrer Mutter zu trösten: daß man in dieser Zeit der Ruhe nur unter der Erde sich überlassen könne; daß die Lebenden hingegen eingreifen müßten in die Zukunft und für ihre Kinder rüstig handeln, solange es ginge, indem, je schlimmer die Zeit, desto besser die Eltern sein müßten. Nach diesen Worten handelte Jean Paul.
Der Durchzug durch Ansbach und Baireuth war bekanntlich das hauptsächlichste Ziel Napoleons bei dem Feldzug in Thüringen gewesen. Unmittelbar nach der Schlacht bei Jena besetzte die französische Armee das Land. Baireuth kam unter den Befehl Bernadottes. Schuckmann verwaltete das Land im Auftrag des Kaisers. Die Einwohner wurden mit Kontributionen und Einquartierung belegt. Eine Eingabe Jean Pauls an Bernadotte persönlich, ihn mit Kontributionen zu verschonen, da er arm wäre, hatte nur vorübergehenden Erfolg. Mit Einquartierung aber wurde er nicht belästigt. Sie hätte ihn auch vollkommen um seine Arbeitsruhe gebracht, die er jetzt nötiger brauchte als je.
Eine verheerende Trostlosigkeit folgte dem preußischen Zusammenbruch.
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