Saemtliche Werke von Jean Paul
Zu übergewaltig war der Eindruck von Napoleons Größe. Die Franzosen hatten im Siegeslauf ganz Deutschland durchquert und sich tributpflichtig gemacht, und man wußte genau, daß Napoleons Ziele noch weiter gingen, daß sie weltpolitischer Natur waren. Der alte Kampf zwischen Deutschen und Franzosen schien endgültig mit dem Sieg der Franzosen entschieden zu sein. Karls des Großen Gestalt stieg aus dem Dunkel der Vergangenheit neu hervor, aber er brachte den deutschen Gemütern keine neue Hoffnung, im Gegenteil: die Teilung von Verdun, die einst Deutschland von Frankreich getrennt hatte, schien überwunden. Ein großes Reich schien das Endergebnis einer tausendjährigen Entwicklung, aber mit dem Erfolg, daß die Franzosen in diesem neuen Reich alles und die Deutschen nichts bedeuteten. Man bangte allen Ernstes um den Fortbestand der deutschen Sprache und Kultur. Jean Paul war vielleicht der einzige, der die allgemeine trostlose Niedergeschlagenheit nicht teilte. Er sah als erster, daß das Deutschland, das bei Jena und Auerstädt geschlagen war, nicht das ganze Deutschland war. Im Gegenteil, in diesem Niederbruch der alten Duodezfürstentümer und jener zwei »Schildkrötenschalen« Preußen und Österreich, zwischen denen Deutschland bisher eingeklemmt gewesen war, sah er endlich den Weg zu einer deutschen Verwirklichung frei. Diesen Weg dem deutschen Volke zu zeigen, war sein erstes Bestreben.
Nachdem er einige ältere Pläne zu Ende geführt oder beiseitegeschoben hatte, schrieb er Januar und Februar 1808 die »Friedenspredigt an Deutschland«. Mit einer unerhörten Klarheit zeigte er, wie auf den neuen Tatsachen ein neues Deutschland aufzubauen sei. Mut wollte er der darniederliegenden Nation zusprechen, aber er zwang sie auch zur inneren Einkehr. Allerdings müsse die Stunde jetzt benutzt werden, das Neue zu erkennen und in die Tat umzusetzen. Die Voraussetzungen dafür seien gegeben. Durch den »kleinen Krieg in der Brust«, wie er den ersten der Abschnitte nennt, aus denen sich die »Friedenspredigt« zusammensetzt, ist das Tiefste im Deutschen aufgelockert worden. Der zweite Abschnitt ist ein Appell an die Fürsten. »Sie haben beinah die Wahl, entweder allmächtig oder ohnmächtig zu werden«, weil jetzt das Volk auf seine Fürsten sieht und von ihnen alles erwartet. Wenn einzelne Fürsten Land verloren hätten, so wäre das nicht so schlimm im Vergleich zu dem Länderschacher, der bisher ohne die eiserne Notwendigkeit des Krieges getrieben worden. Wo echte Bindungen von Volk zu Fürst beständen, könnten sie durch kein Machtgebot zerrissen werden. Deutschland ist nicht umzubringen. »Wie Deutschland die geographische Mitte in Europa einnimmt: so hält es auch die sittliche; und wird daher mit Recht im Jungfrauen-Bilde als dessen Herz abgebildet, indes mancher andre Teil Europas nur Kopf ist oder ein Faust-Arm. Dieses gute ehrliche Herz, das fast alle europäische Kriege mit ihren Kanonen durchbohrten! – Jetzt hat es Blut genug verloren.« »Niemand sprach mehr gegen die deutsche Reichsverfassung als wir Deutsche sämtlich«, heißt es in dem dritten Abschnitt »Das deutsche Reich«. Es wird gezeigt, wie wenig noch die Idee eines deutschen Reiches in der alten Reichsverfassung verwirklicht wurde. »Wo indes echter alter deutscher Reichsgeist sich noch aufbewahrt – z. B. in den Hansestädten – da taste diese geistigen Reichs-Kleinodien keine neuernde Hand feindlich an. Laßt den letzten deutschen Eichen, in die leider immer die Kriegsgewitter schlugen, den wilden zackigen Wuchs.« Gegen die Zentralisation in einem preußischen Einheitsstaat ist dieses Wort gesprochen. Und nun kommt jenes nur lose verhüllte Bekenntnis, daß gerade durch Napoleons Eingreifen die deutsche Reichsidee gerettet werden kann: »Napoleon, oder wer es vermag, rette die letzten Deutschen und forme die übrigen.«
Der wichtigste ist der vierte Abschnitt »Vaterlands- oder Deutschlandsliebe«. Er handelt von dem Rheinbund, in dem Jean Paul die erste Verwirklichung eines neuen Deutschland sieht. »Die Deutschen lieben jetzt in den Deutschen das Deutsche mehr als sonst«, heben diese wichtigen Ausführungen an. Nach den Erschütterungen des letzten Krieges mit seinem Zusammenbruch Preußens und Österreichs haben die Deutschen sich endlich erkannt. Die verschiedenen deutschen Völkerschaften waren bisher einander fremd. Aber was tut das! Auch die Griechen und die Italiener sonderten sich in Einzelstaaten ab. Jetzt aber gilt
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