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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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eingeblasen und was ihm so sehr alle Einheit des Lebensgefühls genommen, daß er wie der Krebs seine rechte Scheere mit der linken kneipend, diese als feindliche voraussetzend absprengte…: dieses Deutschen-Übel werden die Beispiele und die Folgen der Zeit, und die Nähe und die Einwirkung einer im politischen Leben so begeisterten Nation, wie wir im dichtenden, zu brechen dienen.« Der deutsche Staatsgeist wurde bisher von den Fürsten vertan. Wenn die Fürsten diesen Geist, statt ihn zu pflegen, vermodern ließen: »so ging der Staat, wie Pfaffius’ Terzienuhr, noch fort, sogar noch eine Stunde, nachdem das Gewicht abgenommen war; dann stand er.« Der deutsche Staat ist heute so weit, daß er wie eine abgelaufene Uhr steht. Wie anders der Genius Napoleons! »Aber der jetzige Astralgeist und regierende Planet Europens (der Abend- oder Weststern) will aus seinem Geist Geister machen und damit die Körper nicht bloß erschaffen oder bewegen, sondern auch beseelen. Dieses Beispiel wird auf nähern und fernern Wegen auf uns Deutsche herüberwirken, wie Friedrich II. auf Joseph II., und wir fangen vielleicht in einem höhern Sinne als bisher Österreich das Militärjahr vom November an.« Deutlich wird es sichtbar, daß eine Stunde der Deutschen aufsteigt. Alle Verhältnisse sind neu und jung. »O werde doch – möchte man wünschen, wenn Wünschen spornte – die neue Zeit, die Jugend der Verhältnisse mit Feuer von den Fürsten und Schriftstellern gebraucht, um die echten Deutschen und das abgestumpfte Europa verklärt wieder zu gebären!« »Schafft und hofft; euch bleiben und helfen Gott und Tod.«
    Im Frühjahr 1808 ließ Jean Paul die kleine Schrift hinausgehen. Schon im Sommer fing er eine Ergänzung an, die den Umkreis weiter spannte. Bis zum März 1809 arbeitete er an den »Dämmerungen für Deutschland«. Sie setzen die Gedankenwelt der Friedenspredigt weiter fort, aber eine kleine Schwenkung war doch bereits eingetreten. Als Jean Paul seine Friedenspredigt schrieb, sah er in Napoleon den überragenden Genius, der Europa zu einem umfassenden Frieden hinführen würde. Als großen Befreier und Erneuerer Europas hatte er den Franzosenkaiser begrüßt. Inzwischen war es auch den mittel- und süddeutschen Staaten klar geworden, daß Napoleon kein Befreier, sondern ein Tyrann war. Nie wieder hat ein Eroberer den moralischen Glauben der Tiefsten und Besten einer Nation so leicht verscherzt wie der Korse. Den Beinamen des Gerechten wollte Jean Paul dem Eroberer verleihen, und er hatte geglaubt, in Napoleon einen Kenner des deutschen Wesens bewundern zu dürfen. Als er an die »Dämmerungen« heranging, war dieser Glaube zerstoben. Wenn jetzt von Napoleon die Rede war, geschah es nicht mehr in erhebenden Ausrufen der Bewunderung. Er zeigte auf, wie Napoleon bisher immer nur durch Übermacht gesiegt hatte und wie wenig überhaupt einem Eroberer die Palme der Menschheit gebühre. Damit aber waren seine übrigen Ideen nicht erledigt. Von Frankreich kam das Heil Europas und der Welt nicht. Um so mehr mußte es von Deutschland kommen. Es war wie immer im Lauf der Geschichte: was Frankreich der Welt versprochen hatte, mußte Deutschland ihr halten. In Napoleon war kein Stern erster Größe aufgestanden. Wo lagen nun die Weltziele?
    Bereits im »Hesperus« hatte Jean Paul seine weltpolitischen Ideen in dem Schalttag »Über die Wüste und das gelobte Land des Menschengeschlechts« entwickelt. Noch einmal behandelte er dieses Problem in dem ersten Abschnitt der »Dämmerungen«: »Über den Gott in der Geschichte und im Leben«. Der Dichter versucht, in der Weltgeschichte ein göttliches Walten nachzuweisen. Darauf liegt aber nicht das Schwergewicht. Das Große an diesen Ausführungen ist die weltgeschichtliche Schau, die er hier vor uns ausbreitet. Dieser Abschnitt gehört zu den tiefsten geschichtsphilosophischen Abhandlungen, die überhaupt jemals geschrieben wurden. »Wer mit Goethe sagt, das Schicksal will gewöhnlich mit vielem nur wenig: dem ist die Weltgeschichte ein Weltgericht, aber eines, das unaufhörlich verdammt und sich mit.« Allerdings blicke uns die Vergangenheit so grausend an wie ein aufgedeckter Meeresboden, welcher voll liegt von Gerippen, Untieren, Kanonen, modernden Kostbarkeiten und verwitternden Götterstatuen. Der ganze Kirchhof der Menschheit wird vor uns ausgebreitet, der unendlichen Zufälle gedacht, die sich in der Geschichte auswirkten, ununterschiedlich ob zum Bösen oder zum Guten.

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