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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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die unterjochte Nation. Es konnte den Druck ertragen bis zur äußersten Möglichkeit. Aber wenn er über diese Möglichkeit hinausging – und damals sah man bereits, daß er es tat –, dann blieb eben nichts anderes übrig, als diesen Druck abzuschütteln. Eine »Krieg-Erklärung gegen den Krieg«, aber der Krieg war Napoleon! In dieser Schrift wird ihm nicht mehr der Beiname eines Gerechten gegeben. Er ist der blutbefleckte Kriegsheld, mit dem hier die Abrechnung gehalten wird. Und dem deutschen Volke wird gezeigt, daß die Macht eines solchen Kriegshelden auf tönernen Füßen ruht. »Was hilft indes alles Predigen der Geschichte? Wie wiederholte sie nicht stets, daß alle von Blutcharakteren zusammengeschwemmte oder -geleimte Länder – z. B. eines Alexanders, Karls des Großen, der barbarischen und der orientalischen Ungeheuer – niemals beisammengeblieben, sondern daß häufig die, welche leimen geholfen, nachher geteilt und zerrissen haben? Immer glitten die durchstochenen, durch ein Schwert aneinandergereiheten Länder wieder davon herab, sobald die blutschwarze Hand, die es hielt, sich vor dem Tode senken mußte.« Ausdrücklich wird unter den Eroberern Karl der Große genannt. Unter Karl dem Großen verstand man aber damals – unter dem Druck der französischen Zensur – niemand anderen als Napoleon.
    »Laßt uns einige Augenblicke mit einem friedlichen Beschauen der Helden zubringen.« Und nun wird der Kriegsheld, der große Eroberer unter die Lupe genommen. »Vor dem Pöbel steht freilich ein Mann erhaben da, der in seinem Bette liegt und Länder mit Ländern multipliziert oder dividiert; denn der Pöbel rechnet die gedachte Größe zur denkenden, die des Gegenstandes zur Anstrengung.« Aber es dürfte im allgemeinen »mehr Kraft dazu gehören, einen Helden abzumalen, als einer zu sein; und Newton und La Place tragen höhere Kronen, als die erste dessen ist, welcher von ihnen angewandte Kriegsmeßkunst lernt«. Deutlicher konnte wirklich nicht mehr auf Napoleon gezielt werden! Und nun der »Mut« des Kriegshelden! Wir sehen sofort: es ist von keinem Krieger die Rede, der mutig in die vorderste Linie drängt, sondern von dem Feldherrn, der mit dem Ruhm anderer bedeckt ist. »Der Sieger wird genannt, aber selten die Sieger, mehr der befehlende Mut als der gehorchende, und den Überlebenden stirbt die Lorbeererbschaft der Gebliebenen zu. Vollends der Held selber, dastehend auf dem Hügel und seine Unsterblichkeit durch fremdes Sterben erobern sehend… Aber ist’s nicht mehr Ehrenmut, zu sterben ohne Ruhm, als zu leben von Ruhm?« »Welche gewöhnliche Menschen waren nicht die Ziethen, Tillys usw… . so gibt man eben zu, daß der bloße Feldherr an und für sich kein großer Charakter oder Mensch… sondern der üppige, fette Sprößling einer Kunstfertigkeit sei.«
    »›Ich habe eine Idee,‹ sagt Sokrates, ›und daran setz’ ich mein Lebenswohl und mein Leben selber, denn fremdes darf ich nicht.‹ – ›Ich habe eine Idee,‹ sagt der Eroberer, ›und daran setz’ ich Völker, Dörfer und Städte und erfülle meine und feindliche Landeskinder mit Blutdurst und Fleischhunger und leide kein fremdes Dorf, das nicht Tourtour, und keine fremde Gasse, die nicht Elendengasse heißt, und verdoppele die Saharawüste: mehr kann ich für eine Idee wahrlich nicht tun.‹« Hier ist der grandiose Zynismus des Kriegshelden, des Eroberers herausgehoben. Hier wird in den Nerv jenes Phänomens Napoleon gezielt, das die Welt blendete. Hier wird das Phantomhafte an dem Eroberer aufgewiesen. So deutlich, daß man erstaunen muß, wie die französische Zensur den Pfeil nicht erkannte, der hier auf die Sehne gelegt wurde. Noch Anfang 1805 hatte Jean Paul mit sich gerungen: »Wüßt ich gewiß, daß Napoleon unrecht hätte… oh, so wäre es ja leicht, selbst ein Leben gegen ihn zu wagen durch Schrift.« Seit der »Charlotte Corday« hatte er mit dieser Erscheinung gerungen, die über Europa lag. Jetzt war er mit seinem Urteil fertig, und jetzt wagte er sein Leben gegen ihn durch Schrift. Er zeigte seinem Volke, von welch kurzer Dauer die gewaltsam aufgerichteten Reiche sind, die bald wieder von dem Schwert herabgleiten, das sie wie Trophäen aufgereiht hat. Mit einem Wort: er wies auf eine kommende Morgenröte hin. Er schrieb nicht Morgenröte, sondern »Dämmerungen für Deutschland«, in der kurzen Vorrede diesen Titel erklärend oder vielmehr nicht erklärend. »Es wäre für den Verfasser aus manchen

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