Saemtliche Werke von Jean Paul
Dichtung der zerrissenen Gegenwart führt zwei Welten gegeneinander. Hier aber ist aus einer Wurzel eine ganze Welt entwickelt. Wir sprachen bereits bei der Form von Jean Pauls ersten Romanen über seine Verwandtschaft mit der unendlichen Melodie Bachscher Musik. Auch hier wieder zeigt sich diese Verwandtschaft. Ein einziges Thema wird angeschlagen und durch die verschiedensten Atmosphären hindurchgetrieben.
Die Gestalt des Dichters Theudobach zeigt, daß in Jean Paul der Strom der Selbstironisierung seiner Person und seines Berufs fortrann. Eine minderwertige Tagesgröße hatte er in dem Dichter Theudobach geschaffen, aber trotzdem sind allgemeine Schriftstellermerkmale und Eigenheiten bei ihm deutlich erkennbar. Hier schimmert wiederum der Plan einer Selbstbiographie, die Jean Paul während der ganzen letzten Periode seines Schaffens innerlich beschäftigt, deutlich hindurch. Alles Don Quixotehafte hatte er in dieser Dichtung allerdings auf die Gestalt Dr. Katzenbergers selbst gehäuft. Nicht Theudobach, sondern der Professor erliegt der fixen Idee der Mißgeburten, unter deren Aspekt er sein Leben ansieht. Aber ursprünglich war die Einstellung des Don Quixotehaften mit der Figur des Schriftstellers, mit der eigenen Gestalt, in dieser Schaffensperiode verbunden gewesen. Mit dem »Leben Fibels« hatte diese Periode eingesetzt. Immer wieder war der eigenartige Einfall, diesen Don Quixote der Literatur durch Dichtung zu bannen, gewissermaßen einen seltsamen Doppelgänger der geplanten Selbstbiographie auf die Beine zu stellen, durchgebrochen. Gerade dieser Blick für die Don Quixoterien des Daseins hatte dann im »Schmelzle« und in »Dr. Katzenbergers Badereise« zum humoristischen Porträt geführt. In diesen beiden Arbeiten erschöpfte sich Jean Pauls Vorliebe für diese Gattung noch nicht völlig. Noch einmal griff er diese Form in dem »Briefwechsel zwischen dem Rektor Seemaus und Jean Paul« auf. Wiederum ist hier unter Zuhilfenahme einer fixen Idee ein Leben aus der Idylle bis zur tragischen Spannung getrieben. Die Einkleidung der kleinen Arbeit in Briefe nimmt ihr von der Unmittelbarkeit der Darstellung, sonst könnten wir die Gestalt des Rektors Seemaus unbedenklich dem angstgejagten Feldprediger an die Seite stellen. Mit herzzerreißendem Humor schildert Seemaus das Elend des kleinen Schulmeisters. Statt eines Notpfennigs gibt es nur Pfennignot, und Küchenlatein ohne Küche. Die ganze Familie ist lungensüchtig. Seemaus und die Schwiegermutter keifen gegeneinander. Er und der Kollege wünschen sich wechselweise fort. In dieses Idyll bricht mit einem Schlage die große Hoffnung: In Bayern sollen zwei große Herrschaften mit Schlössern, Waldungen, Fischereien zur Verlosung kommen. Es werden 36 000 Lose zu je 12 Gulden ausgegeben. Seemaus rechnet sich aus, daß unter den 36 000 Losen eines gewinnen muß. Er verkauft die Patenlöffel seiner sechs Kinder und kauft sich ein Los dafür. Die Familie gibt sich den größten Hoffnungen hin. Chimärische Luftschlösser werden gebaut. Statt eines einzelnen bemächtigt sich der ganzen Familie die fixe Idee des sicheren Gewinnes. Seemaus schaltet und waltet bereits auf seinen Gütern, und wenn er eine Sorge hat, so ist es einzig und allein die, daß ihn die Freudenpost töten könne und seine Hinterbliebenen um das Riesenerbe in Streit geraten. Da er gerade bei einem Baireuther Kollekteur das Los genommen, bittet er Jean Paul, die nötigen Vorkehrungen zu treffen, daß die Nachricht ihn unter den nötigen Vorsichtsmaßregeln erreiche. Ein ganzes System von Sicherungen wird ausgearbeitet, um den Glücksumschwung ohne Schaden aufnehmen zu können.
Die Hauptwirkung liegt auch bei dieser kleinen Arbeit in der Ausmalung der komischen Situation. Die ungeheuren Hoffnungen, die das Los erweckt, stehen in einem fast gespenstischen Gegensatz zu der Wahrscheinlichkeit der Erfüllung. Überdies brandmarkt die Schrift das Verderbliche der noch dazu staatlich geförderten Lotterien. Hierin schließt sie sich wiederum an die älteren Satiren Jean Pauls an. Doch der Fortschritt liegt auch hier in der phantastischen Ausgestaltung des Charakters. Auf dem gleichen Boden sollte nun endlich diejenige Dichtung erwachsen, die fünf ganze Jahre hindurch immer wieder vorgenommen und immer von neuem zurückgestellt wurde, um schließlich 1811 vollendet zu werden: »Das Leben Fibels«. Wenn der »Dr. Katzenberger« den Höhepunkt des rein humoristischen Schaffens bedeutet, so bildet auch
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