Saemtliche Werke von Jean Paul
sollen: könnt’ ich nicht jetzt die ganze Landschaft in meinem Farbenstrom statt im Dintenstrom auffangen und hinausspiegeln? Wahrhaftig ich könnte jedes Gebüsch mit dem hineinschlüpfenden Vogel dem Leser in die Augen zurückspiegeln, jede lippenfarbige Rotbeere der Felsen-Abdachung, jedes von Anflug überwachsene Schaf und jeden Baum, den das Eichhörnchen mit zerbröckelten Tannzapfen umsäete. Inzwischen gibt es Dinge, an denen wieder die Iltishaare des Pinsels vergeblich bürsten, die aber schön aus meinem Kiele rinnen – das auf Genüssen schwimmende Auge Gustavs schifft leicht hinüber und herüber zwischen dem Lamme, dem hellen Blumengrund mit der Schatten-Landspitze und zwischen dem Zauber-Gesichte Reginens und braucht nirgend wegzublicken.
Warum sagt’ ich ein Zauber-Gesicht, da es ein alltägliches war? – weil mein kleiner Apollo und Schafhirt mit trinkenden Augen auf dieses Gesicht wie auf eine Blume flog. Unter einer Hirnschale wie seine, zu welcher den ganzen Tag die weiße Flamme der Phantasie, und kein blaues Branntewein-Flämmchen des Phlegma auffackelte, mußte jedes weibliche Gesicht mitvergüldeten Reizen in Götterfarbe und nicht in Totenfarbe dastehen. Alle Schönen hatten bei ihm den Vorteil noch, daß er sie nicht seit zehn Jahren, sondern seit zehn Tagen sah. Indessen ist das nicht seine erste Liebe, sondern nur ein Frühgottesdienst, ein Vorfest, ein Protevangelium irgendeiner ersten Liebe, mehr nicht.
Zwei ganze Wochen trieb er sein Lamm auf die Weide, eh’ sein Mut so weit stieg, daß er – nicht sich neben ihr Strickzeug hinsetzte, dies überstieg Menschenkräfte, sondern nur daß er – das Schaf an seinem postillon d’amour festhielt, nicht um es zu Reginen hinzuziehen, sondern um selber von ihm hingezogen zu werden; denn die beste Liebe ist am blödesten, wie die schlimmste am kühnsten. Wie ein stillender Mond legte sich alsdann, wenn sie mehr in seinen Gedanken als in seinen Augen war, ihr Bild an seine träumende Seele, und so viel war ihm genug. – Sein zweites Mittel, ihr Akzessist zu werden, war der runde Schatten eines tiefer unten schwankenden Lindenbaums, hinter dem die Abendsonne wie hinter einem Jalousieladen sich zersplitterte. Mit diesem Schatten rutscht’ er nun der Regina immer näher; unter dem Vorwand, als mied’ er die eine Sonne, rückte er einer andern rötern zu. Von solchen kleinen Spitzbübereien läuft die Liebe über; sie werden aber alle erraten und alle verziehen; und sie werden oft mehr vom Instinkt als vom Bewußtsein eingegeben. Wenn freilich der Abend langsam aus dem Tal sich in die Höhe richtete – wenn die einschlummernde Natur in abgebrochenen Lauten des zu Bette gegangnen Vogels gleichsam noch ein paar Worte im halben Schlafe sagte – wenn das Glockenspiel am Halse der Herde, die unschuldige Blumen der Freude aus Wiesen pflückte, und der eintönige Guckguck und das verwirrte Abendgeräusch die Tasten der leisesten Saiten gedrückt hatten: so nahm sein Mut und seine Liebe um ein Namhaftes und nicht selten in dem Grade zu, daß er den Kuchen, den er für sie eingesteckt, öffentlich aus der Tasche holte und ohne Bedenken – ins Gras legte, um ihr wirklich den Antrag dieses Backwerks zumachen, sobald sie in der Dämmerung beim – Schloßtor auseinander mußten: hier stieß er ihr die Schenkung mit hastiger Verwirrung zu und sprang mit freudiger Beschämung davon. Gelang es ihm, ihr dieses Abendopfer zu insinuieren: so war jede Pulsader seines Arteriensystems ein entzückt klopfendes Herz (denn die Sprache und Freude seiner Liebe war Geben), und unter seiner Bettdecke pflanzte er die ganze Nacht kühne Plane auf morgen, die der Nachmittag-Glockenhammer mit vier Schlägen sämtlich – bis auf ihre Herz-Wurzel – in die Erde schlug. Sie tat immer das breite Halstuch ihrer Mutter um; daraus mußte sein Philosoph von Verstand ableiten, daß ihm später die großen Halstücher der Damen gefielen, die ich selber den vorigen Tändelschürzen des Halses vorziehe; aus dem nämlichen Grunde gefielen ihm wie mir auch breite Kopfbinden und breite Schürzen. Ich habe schon mit Philosophen L’hombre gespielt, die es umwandten und behaupteten, alles das gefalle ihm, nicht, weil das Zeug an der Schönheit (Reginens) war, sondern weil die Schönheit am Zeuge war.
Im Grunde schäm’ ich mich, daß ich hier, während die zerrissendsten Bakkalaureen eintunken und den übrigen Bakkalaureen die feinsten Sponsalien von Königinnen und Marquisinnen
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