Säule Der Welten: Roman
die dünnen Gardinen bewegten. Wie alles in Liris war auch der Festraum klein, vollgepfropft mit Andenken und exzentrischem Mobiliar und nur über ein Labyrinth von Treppen und Korridoren zu erreichen. Venera fühlte sich an ihr Kinderzimmer erinnert.
Sie hatte nicht kommen wollen. Sie hätte am liebsten allein in ihrem Kämmerchen gesessen. Aber Eilen hatte nicht lockergelassen. »Warum so bedrückt?«, hatte sie gefragt und sich mit der Hüfte gegen Veneras Türstock gelehnt. »Sie haben Ihrem Land heute einen großen Dienst erwiesen!« Venera war schweigend mitgegangen und gab sich nun alle Mühe, für den Rest des Abends den mehr oder weniger stummen Gast zu spielen.
Ihr Trübsinn steckte die anderen nicht an. Die Bürger von Liris waren nahezu vollzählig erschienen, und eine schwindelerregende Parade von verschrobenen bis neurotischen Typen zog an Venera vorbei, während sie
sich systematisch bis zur Besinnungslosigkeit volllaufen ließ. Da waren die Traditionssoldaten mit ihren Pickelhauben und ihren Donnerbüchsen; die grauen Mäuse von der Abwasserentsorgung mit ihrer monotonen Sprechweise, die sich am Getränketisch zusammenrotteten; die Näherinnen und Kerzenzieher, die Schreiner und die Reinigungskräfte, die alle von Kind an eine gemeinsame Geheimsprache entwickelt hatten und sie auch jetzt verwendeten. Auch Kinder waren gekommen - ernste kleine Menschen mit großen Augen, die um Venera herumstrichen, als wäre sie einem ihrer Märchenbücher entstiegen.
Sie sah sich alles teilnahmslos an. Ich wusste, dass so etwas passieren könnte, sagte sie sich immer wieder. Ich wusste, dass er sterben könnte. Dennoch war sie von ihrem Plan nicht abgewichen und hatte den widerstrebenden Chaison mitgezogen. Sie wusste, dass die Entscheidung zur Rettung Slipstreams notwendig gewesen war. Dennoch empfand sie sie jetzt wie einen Verrat.
»Es ist so aufregend «, sagte Eilen gerade, »ein neues Gesicht in unserer Welt!« Sie war stockbetrunken, balancierte neben Venera auf einem Fuß und winkte Leuten, die sie doch jeden Tag sah, stürmisch zu. Einige wenige waren auf Venera zugekommen und hatten sich mit verlegenem Gestammel vorgestellt; die meisten hielten Abstand, tuschelten miteinander und beäugten sie aus der Ferne. Eine Ausländerin. Ein fremdes Wesen. Der neue Günstling der Botanikerin.
Ach ja, auch die Botanikerin war anwesend. Sie glitt durch die Feiernden wie auf Schienen, nickte hierhin und dorthin und ließ am Rande von Gesprächen strategisch
wichtige Bemerkungen fallen. Wie immer umspielte ein rätselhaftes Lächeln ihre Lippen. Endlich steuerte sie auch auf Venera zu und hielt gleich neben Eilen an. Die verstummte schlagartig und verdrückte sich.
»Ich habe immer schon gesagt, dass es sich auszahlt, seine Kunden zu kennen«, sagte die Botanikerin. »Offenbar habe ich Sie richtig eingeschätzt.«
Venera sah sie lange an. »Halten Sie das für Ihre Aufgabe? Menschen einzuschätzen? Wie Blütenknospen, die vielleicht blühen, aber auch verdorren könnten?«
»Ein passender Vergleich. Genauso ist es«, bestätigte die Botanikerin. »Manche müssen gefördert, andere abgeschnitten werden. Sie nicken so, als hätten Sie mich verstanden.«
»Ich habe in meinem Leben … auch schon einige … Schnitte gemacht«, sagte Venera. »Ich habe also für Ihre winzige Nation einen großen Sieg errungen. Und was nun?«
»Nun«, stieß die Botanikerin atemlos im Ton einer großen Schwester hervor, »werden wir uns darüber unterhalten, wie wir weiter vorgehen. Sie haben mich nämlich in meinen Überzeugungen bestärkt. Ich glaube, dass Liris sich mehr nach außen hin öffnen sollte. Wir müssen unsere Delegierten auf Reisen schicken, eventuell sogar über Spyre hinaus.«
Der Nebel von Veneras Trauer lichtete sich ein wenig. »Über Spyre hinaus? Wie meinen Sie das?«
»Ich würde gerne eine Handelsmission zu einer der Prinzipalitäten entsenden«, sagte die Botanikerin. »Natürlich unter Ihrer Führung.«
»Das wäre eine große Ehre für mich«, sagte Venera, ohne eine Miene zu verziehen. »Aber ist es nicht Odess’ Aufgabe, solche Dinge zu organisieren?«
»Odess?« Die Botanikerin winkte verächtlich ab. »Ein geschwätziger Jammerlappen. Nehmen Sie ihn mit, wenn Sie meinen, aber ich kann mir nicht vorstellen, wie er Ihnen nützen sollte. Nein, ich denke an Sie, eventuell Eilen und ein oder zwei loyale Soldaten. Und ein Sortiment von unseren Schätzen, um potenzielle Kunden anzulocken.«
»Das klingt
Weitere Kostenlose Bücher