Säule Der Welten: Roman
vernünftig.« Venera wollte ihren Ohren nicht trauen. Glaubte die Frau tatsächlich, sie würde jemals wieder zurückkommen, wenn sie diesen Ort einmal verlassen hätte? Andererseits schienen alle Bewohner von Spyre bedenklich naiv zu sein.
»Gut. Sie sagen den anderen noch nichts davon«, befahl die Botanikerin streng. »Man soll alte Wunden nicht wieder aufreißen.«
Wie war das nun wieder zu verstehen?, überlegte Venera, während die Botanikerin davonschlenderte. Doch dann kehrte Eilen zurück und schüttete ihr den Inhalt ihres Glases über die Schuhe. Von da an ging alles drunter und drüber, und so dachte sie erst wieder an das unglaubliche Angebot der Botanikerin, als sie kurz vor Tagesanbruch in ihr Kämmerchen zurückkehrte.
Sie hatte soeben die klemmende Tür hinter sich zugeschlagen und wollte unter die Decke kriechen, als jemand höflich anklopfte. Venera zog die Tür wieder einen Spaltbreit auf.
Draußen lehnte Moss an der Wand wie ein enthaupteter Baum. »Bürgerin F-F-Fanning«, sagte er. »Ich w-w-wollte Ihnen nur d-das hier geben.«
Im schwachen Schein der Korridorlampen sah sie, dass er einen winzigen Blumenstrauß in der Hand hielt.
Die markanten Züge in Verbindung mit der Leere in seinen Augen verursachten ihr eine Gänsehaut. Sie streckte die Hand durch den Spalt und riss ihm das Sträußchen aus den kraftlosen Fingern. »Danke. Sie sind aber nicht etwa in mich verliebt?«
»Es t-t-tut mir nur l-l-leid, dass Sie so t-t-traurig sind«, murmelte er. »V-v-versuchen Sie doch, nicht mehr so t-t-traurig zu sein.«
Venera war sprachlos. Er hatte sehr leise gesprochen, aber die Worte schienen in dem stillen Korridor endlos lange nachzuhallen. »Traurig? Wie kommen Sie denn darauf, dass ich traurig bin?«
Niemand sonst hatte es bemerkt - nicht einmal Eilen, die Venera den ganzen Abend über mit Habichtsaugen beobachtet hatte. Venera kniff die Augen zusammen. »Ich habe Sie auf dem Fest nicht gesehen. Wo waren Sie denn?«
»Ich w-w-war schon d-da. In d-d-der Ecke.«
Anwesend und abwesend zugleich. Damit war Moss umfassend beschrieben. »Ach so.« Venera schaute auf sein Geschenk hinab. Sie hatte unbewusst die Faust geballt und die kleinen weißen Blüten zerdrückt.
»Danke«, sagte sie. Moss wandte sich ab. Sie hörte ein gedämpftes Klirren. »Moss«, sagte sie schnell. Er sah sich um.
»Auch Sie sollten nicht so traurig sein«, sagte Venera.
Er schlurfte davon. Sie schloss leise die Tür. Allein geblieben, stieß sie einen langen, zittrigen Seufzer aus und ließ sich vornüber auf ihr Bett fallen.
Am nächsten Morgen trug Venera das zerdrückte Bukett am Aufschlag ihrer Jacke. Falls es jemand bemerkte, so sagte er nichts dazu. Sie frühstückte mit den Mitgliedern der Delegation in deren eigenem Speisesaal - einem überdachten Luftschacht, dessen Wände vom Boden bis zur unsichtbaren Decke mit ausgestopften Tieren behängt waren - und folgte ihnen dann schweigend in die Büroräume. Inzwischen war ihr der Ablauf klar geworden: man würde für den Rest des Tages herumsitzen, gelegentlich ein kurzes, lustloses Gespräch beginnen, zu Mittag und zu Abend essen und sich dann zurückziehen.
Wenn sie mehr als zwei Tage so leben müsste, würde sie den Verstand verlieren. Deshalb sagte sie um zehn Uhr: »Können wir nicht wenigstens Karten spielen?«
Einer der Soldaten schaute herüber, dann schüttelte er trübselig den Kopf. »Odess gewinnt doch immer.«
»Aber jetzt bin ich da«, sagte Venera. »Vielleicht gewinne ja ich?«
Ganz langsam rafften sie sich ein wenig auf. Mit gutem Zureden und einigen Drohungen erreichte Venera, dass man ihr verriet, wo die Karten aufbewahrt wurden, und sobald sie die gefunden hatte, zog sie energisch einen Tisch und mehrere Stühle in die Mitte des Raumes. »Setzt euch«, befahl sie, »damit ihr etwas lernt.«
Jetzt hatte Venera Gelegenheit, ihre neuen Landsleute gründlich auszuforschen - am Vorabend auf dem Fest war alles zu hektisch und zu fremd gewesen, und jeder hatte sich auf allzu durchsichtige Weise angebiedert -, und sie nützte ihre Chance. Nach zehn Minuten tauchte Odess aus seinem Büro auf. Er wirkte verkatert
und mürrisch, doch als er sah, wie sie die Karten mischte, leuchteten seine Augen auf. Venera lächelte zuckersüß.
»So«, sagte sie, als alle in ihre Karten schauten. »Und jetzt will ich etwas über die Botanikerin erfahren.«
Der Krieg um die Besenkammer hatte sich fünf Jahre lang hingeschleppt. Liris und das Herzogtum
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