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Säule Der Welten: Roman

Säule Der Welten: Roman

Titel: Säule Der Welten: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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Vatoris hatten beide Anspruch auf einen knapp vier Quadratmeter großen Raum an einem der vielfach gewundenen Gänge des Marktes erhoben. Die Besitzrechte waren vor über hundert Jahren vergeben worden, und die Formulierung war nicht eindeutig. Keine Seite wollte zurückstecken.
    »Krieg?«, fragte Venera und spähte über den Rand ihrer Karten. »Ihr meint nicht etwa eine Fehde?«
    Die anderen Spieler schüttelten einmütig den Kopf. Nein, erklärte Odess. Eine Fehde sei eine Familienangelegenheit. Hierbei handle es sich dagegen um einen Konflikt, der zwischen Berufssoldaten in offener Schlacht ausgetragen wurde - auch wenn sich dabei auf jeder Seite nur etwa ein Dutzend Soldaten befand, denn das war alles, was die kleinen Nationen aufbieten konnten. Nach jahrelangen Überfällen, Plünderungen, Feuergefechten und allen möglichen anderen Schikanen versackte die Auseinandersetzung in einem Zermürbungskrieg. Man errichtete in dem umstrittenen Korridor Barrikaden, zwischen denen ein zehn Meter langes Niemandsland voll kaputter Möbel und zerbrochener Fliesen lag. Der Eingang zu der Kammer war nur wenige Meter entfernt, jede Seite konnte ihn in Sekundenschnelle erobern. Die Kunst war, ihn zu halten.

    Beide Seiten verschanzten sich. Die Barrikaden wurden nach verschiedenen Richtungen ausgeweitet und befestigt und dann mit Kanonen und Gewehren verteidigt. Manchmal vergingen Tage, ohne dass ein Schuss fiel, doch die anderen Marktteilnehmer gewöhnten sich auch an plötzlich knatternde Salven. Verletzte gab es dabei nur selten. Schon der Verlust eines einzigen Mannes wäre eine Katastrophe gewesen.
    So etwas kam eben vor. Auch jetzt wurde der Markt von unbegreiflichen Spannungen beherrscht - leere Gänge lagen unter dicken Staubschichten, weil sie wegen genau solcher Streitigkeiten seit Generationen von niemandem mehr benützt wurden; Nachbarn zögerten nicht, sich bei der erstbesten Gelegenheit in irgendeiner Ecke gegenseitig umzubringen; Mordopfer wurden in Wandnischen eingemauert, und Verschwörungen waren allgegenwärtig.
    Eine verirrte Kugel hatte schließlich alles verändert. Die Wände des umstrittenen Gangs waren nie sehr stabil gewesen, deshalb hatten die Gegner eine neutrale dritte Partei beauftragt, sie in regelmäßigen Abständen abzustützen. Aber dass sich Risse und Spalten bildeten, war wohl unvermeidlich. Eines Tages fuhr eine von der Vatoris-Barrikade abgeschossene Kugel in einen solchen Spalt, raste fünfundzwanzig Meter weit durch einen aufgelassenen Luftschacht und tötete den Erben einer größeren Nation, der sich gerade über ein Bowlengefäß beugte.
    Venera rieb sich den Unterkiefer. »Ich kann mir gut vorstellen, wie die Reaktion ausfiel.«
    »Das glaube ich nicht«, widersprach Odess in gewichtigem Ton. Die fragliche Nation war nämlich das
geheimnisvolle Land Sacrus gewesen, ein Staat von »ungeheurer Größe«, wenn man Eilen glauben konnte.
    »Wie ungeheuer?«
    »Fast acht Quadratkilometer!«
    Sacrus handelte mit Macht - aber niemand wusste genau, wie das vor sich ging. Es war eines der verschlossensten Länder, seine Felder waren übersät mit fensterlosen Fabriken, an den Grenzen patrouillierten Wachen mit Hunden und Gewehren. Kleine Luftschiffe, von Feuerwaffen starrend, schwebten über dem Hauptkomplex. Die Sacraner verließen ihre rauchumkränzten Türme nur ein- oder zweimal im Jahr, und dann sprachen sie fast ausschließlich mit ihren Kunden. Sie waren eine der wenigen Nationen, die dem massiven Ansturm der Konservationisten standgehalten hatten - tatsächlich wollte sich niemand im Lager der Konservationisten zum verheerenden Ausgang dieser Schlacht äußern.
    Sacrus war erbost über den Tod seines Erben. Drei Tage lang herrschte Stille hinter der Barrikade von Vatoris. Die Soldaten von Liris feuerten ein paar Schüsse ab, aber es kam keine Antwort. Als sie sich den Vatoris-Stellungen vorsichtig näherten, stellten sie fest, dass sie verlassen waren.
    Man stellte diskrete Erkundigungen an. Seit dem Tag des fatalen Schusses war keiner von den Vatorinern mehr gesichtet worden. In einem Anfall tollkühner Verwegenheit schickte Liris seine Truppen geradewegs in die vatorinischen Unterkünfte. Sie waren leer.
    Zu dieser Zeit kamen Odess Gerüchte zu Ohren, wonach aus Vatoris selbst ein unerträglicher Gestank dringe. »Ich saß in unserem Ausstellungsraum«, sagte er, »es
kommt mir vor, als wäre es gestern gewesen. Ein Abkömmling einer kleineren Nation trat ein und erzählte mir,

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