Säule Der Welten: Roman
auf einen Fluchtversuch von mir gewartet haben.« Sie zuckte die Achseln. »Worüber hätten wir also zu reden?«
»Da gibt es eine ganze Menge«, sagte Margit. »Zum Beispiel darüber, wie Sie hierhergekommen sind.«
Venera nickte langsam. Sie hatte über diese Frage gründlich nachgedacht und war zu Schlüssen gelangt, die sie ebenso zur Flucht bewogen hatten wie die Enthüllungen über Moss. »Es war eine seltsame Verkettung von Umständen, die mich in diese Nation führte«, sagte sie. »Zunächst machte ich mir noch keine Gedanken, warum bewaffnete Soldaten des Nachts über Spyres Rasenflächen schlichen. Ich hatte genug zu tun, ihnen nicht in die Hände zu fallen. Ich wusste noch zu wenig, um die richtigen Fragen zu stellen.«
Margit zog eine Augenbraue hoch und lehnte sich zurück.
»Schuld ist nämlich mein Vater«, sagte Venera in einem Ton, als legte sie eine Beichte ab. »Er ist hemmungslos paranoid und wollte, dass seine Töchter genauso
würden. Deshalb erzog er mich dazu, nicht an Zufälle zu glauben. Wenn mich also jemand absichtlich hierher getrieben hatte, was könnte der Grund sein? Die Soldaten, die mich verfolgten, stammten nicht von Liris. Mir schien es sogar, als wären sie gar nicht hinter mir her, sondern jagten einen anderen unbefugten Eindringling, dem ich begegnet war. Erst heute wurde mir klar, dass diese anderen Soldaten von Sacrus entsandt waren.«
Margit lachte. »Das ist nun wirklich paranoid. Sie wollen meine Nation für jedes Einzelne Ihrer Missgeschicke verantwortlich machen?«
»Nein, nur für dieses eine.« Sie beugte sich vor. »Da wir aber gerade beisammensitzen, möchte ich Ihnen gerne zwei Fragen stellen.« Margit setzte ihr widerwärtiges Lächeln auf und nickte. »Die erste Frage lautet, ob Sie in ständigem Kontakt mit Ihrer Herkunftsnation stehen. Man sagte mir, dem sei nicht so, aber ich glaube es nicht.«
Margit zuckte die Achseln. »Es wäre nicht schwer. Und wenn schon? Darf eine Tochter nicht mehr mit ihren Eltern sprechen?«
»Die zweite Frage lautet«, sagte Venera, »ob Sacrus selbst regelmäßig Reisen in die Prinzipalitäten unternimmt.« Margits Gesichtsausdruck wurde plötzlich verschlossen, und Venera nickte. »Es ist so, nicht wahr?«
»Na und?«
»Jemand hat erraten, woher ich gekommen war«, staunte Venera. »Wahrscheinlich hat Gehellen in allen Prinzipalitäten Steckbriefe von mir und meinem Mann verteilt. Wir werden gesucht, und der Grund dafür ist ein offenes Geheimnis.«
Margit lächelte in unverhohlenem Entzücken. »Oh, Sie sind schlau! Es war ganz richtig, Sie auf diese Weise nach Liris zu holen.«
Venera legte den Kopf schief. »Was hätte es denn sonst für Möglichkeiten gegeben?«
»Oh, das können Sie sich doch bestimmt denken.«
»Unter Zwang. Mit Folter«, sagte Venera. »Warum, glauben Sie, wollte ich vor Ihnen fliehen? Ich konnte mir auf einmal nicht mehr erklären, warum ich mich frei bewegen durfte. Und Ihr Angebot, mir eine Reise außerhalb Spyres zu ermöglichen … war noch unbegreiflicher.«
»Sie bekamen Bedenken. Das ist verständlich. Man gab mir den Auftrag, alles in Erfahrung zu bringen, was Sie über den Schlüssel zu Candesce wissen«, sagte Margit. »Und Sie sind mir natürlich auf die Schliche gekommen.«
Venera sah sie mit Unschuldsmiene an. »Verzeihung, wovon sprechen Sie?«
Margit stand auf und ging an einen Beistelltisch. »Ein Drink?« Venera schüttelte den Kopf.
»Vor kurzem ist einiges geschehen«, sagte die Botanikerin. Sie wandte Venera den Rücken zu, und in diesen Sekunden sah die sich rasch nach etwas um, was ihr einen Vorteil verschaffen könnte. Auf den Polstermöbeln lag weder eine Hutnadel noch ein Brieföffner oder eine Pistole herum. Sie entdeckte zwar einen ramponierten Holzkasten, der in diese Umgebung so gar nicht passen wollte, hatte aber keine Zeit, ihn an sich zu bringen, bevor sich Margit mit einem Glas in der Hand wieder umdrehte.
»Es ist einiges geschehen«, wiederholte sie. »Ein Kampf in der Hauptstadt von Gehellen, Gerüchte über
einen gestohlenen Schatz und dann ein Ereignis, das unsere Wissenschaftler inzwischen als den Ausfall bezeichnen.«
Venera hielt den Atem an. Sie hatte nicht erwartet, dass Margit auch über diesen Teil der Geschichte informiert war.
»Candesce erleuchtet nicht nur unseren Himmel, sondern leistet noch vieles andere mehr«, sagte die Botanikerin. »Wir beobachten die Erste Sonne sehr genau; das muss so sein, schließlich hängt unser Leben von
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