Säule Der Welten: Roman
und komme nie mehr nach Hause. Denn dann …« Die Stimme versagte ihr.
Denn dann habe ich keinen Grund mehr zurückzukehren.
Bei jedem anderen hätte dieser mitfühlende Blick sie rasend gemacht. »Du wolltest mir von den Pferden erzählen«, sagte er ruhig.
»Ach ja, richtig.« Dankbar für den Themenwechsel, fuhr sie fort: »Nun, sie haben mächtige fassförmige Rümpfe und elegante lange Hälse. Schmale Köpfe wie auf meinem Ring.« Sie hielt die Hand in die Höhe und spreizte die Finger. »Und erst die Beine! Garth, die Beine sind zweimal so lang wie der Körper - wie Spinnenbeine, unglaublich lang und dünn. Sie stakten auf der Koppel herum wie … eben wie Spinnen! Ich weiß nicht, wie ich es sonst beschreiben soll. Ein Traum an der Kippe zum Alptraum. Ich bin nicht sicher, ob ich sie wiedersehen will.«
Er nickte. »Zwischen einigen Besitzungen laufen Rinder frei herum. Ich habe sie gesehen; die Ähnlichkeit ist groß. Man muss wissen, dass es auf den Stadträdern keinen Platz gibt, um Vieh zu züchten.«
Venera stemmte den Deckel der Dose mit dem Schmierfett auf und griff nach einem Pinsel. »Aber seit sich die
Nation Buridan zurückgemeldet hat, sind wir selbst für die Pferde verantwortlich. Es sind Kosten entstanden … Offenbar haben mehr als ein Dutzend große Nationen die Betreuung einzelner Teile der Buridan-Besitzungen übernommen. Einige sind Pächter, die seit Jahrhunderten keine Pacht mehr bezahlt haben. Bei anderen ist es wie bei Guinevera, die sich um die Pferde gekümmert haben. Wir hängen in einem riesigen Netz von Verbindungen und Abhängigkeiten fest und haben nur knapp eine Woche Zeit, um alle Fäden zu entwirren.«
Garth überlegte eine Weile. »Zuallererst«, sagte er endlich, »musst du ein oder zwei Fohlen hier heraufbringen und auf dem Stammsitz aufziehen.« Er verzog das Gesicht, als er ihre Reaktion sah. »Ich weiß, was ich eben sagte, aber damit setzt du ein wichtiges Zeichen. Außerdem werden sich diese Räume mit Menschen füllen, ehe du dich versiehst. Warum nicht gleich jetzt einen Teil der Fläche für die Pferde reservieren?«
»Ich werde es mir überlegen.«
Sie räumten alles weg, was sich noch hinter dem Regal befand, und schoben es an die Wand. Es verdeckte das Schlupfloch vollkommen. Als sie zurücktraten, um ihr Werk zu begutachten, sagte Garth: »Es ist schon seltsam mit der Zeit. Sie schwemmt Zorn und Hass hinweg. Aber die Liebe lässt sie unberührt.«
Venera schob die Hand unter seinen Arm. »Ach, Garth, du bist so sentimental. Hast du dir schon einmal überlegt, dass das der eigentliche Grund sein könnte, warum du es in den letzten zwanzig Jahren nicht geschafft hast, aus Groß-Spyre herauszukommen?«
Er sah ihr fest in die Augen. »Ehrlich gesagt, nein. Das ist mir noch nie in den Sinn gekommen. Wenn
überhaupt, dann bin ich hier gelandet, weil ich nicht genug geliebt habe, würde ich sagen, aber bestimmt nicht, weil ich zu viel geliebt hätte.«
Sie seufzte. »Du bist ein hoffnungsloser Fall. Nur gut, dass ich hier bin, um auf dich aufzupassen.«
»Und ich dachte, es wäre umgekehrt.«
Sie verließen den Keller und stürzten sich in das Getümmel der Bauarbeiter, die jetzt im Herrenhaus das Heft in der Hand hatten.
In dieser Nacht setzten die Kopfschmerzen ein.
Venera wusste genau, was auf sie zukam; es war nicht das erste Mal. Ihr Unterkiefer hatte sie schon den ganzen Tag über gequält; es fühlte sich an wie eine eiserne Hand, die im Innern ihrer Kehle nach oben griff und sich um ihren Schädel legte. Beim Abendessen erschien ein seltsam pulsierender Kringel in ihrem Blickfeld und wurde immer größer, bis sie nicht mehr daran vorbeischauen konnte. Sie zog sich auf ihr Zimmer zurück und wartete ab.
Wie lange würde der Anfall diesmal dauern? Manchmal hörte es tagelang nicht auf, und so viel Zeit hatte sie nicht. Sie stolperte auf und ab. Vielleicht sollte sie versuchen, die Schmerzen einfach zu verschlafen. Aber nein, sie hatte Stapel von Papieren durchzuarbeiten, und die Zeit drängte.
Sie rief nach Garth. Er erschrak, als er sie sah, nahm sie in die Arme und rief: »Du bist ja weiß wie eine Wand!«
»Schon gut«, sagte sie, machte sich frei und stieg ins Bett. »Bring mir die Kassenbücher. Es sind nur Kopfschmerzen. Die bekomme ich immer wieder. Ich
fühle mich elend, aber wir müssen diese Papiere durchgehen.«
Er las ihr die einzelnen Klauseln der verschiedenen Buridan-Verträge vor. Jedes Wort löste in ihrem Kopf eine kleine
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