Säule Der Welten: Roman
Explosion aus. Venera versuchte sich zu konzentrieren, aber nach zehn Minuten beugte sie sich plötzlich über die Bettkante und würgte.
»Du musst jetzt schlafen!« Garth fasste sie an den Schultern und legte sie vorsichtig in die Kissen zurück.
»Rede keinen Unsinn«, murmelte sie. »Wenn wir selbst nicht durchblicken, können wir den Rat nicht überzeugen, und dann legt man uns beide in Ketten und karrt uns weg.« Hinter ihrem linken Auge war eine Schmerzknospe aufgeblüht. Sie wusste, dass sie, aller Prahlerei zum Trotz, so lange außer Gefecht sein würde, wie die Migräne es wollte.
Garth ging auf Zehenspitzen durch den Raum und deckte die Laternen ab. Sie lag schlaff wie eine Puppe auf dem Bett. Die fernen Hammerschläge hörten sich an, als kämen sie aus ihrem eigenen Kopf, aber die Renovierungsarbeiten mussten weitergehen.
Irgendwann schlief sie doch ein, aber sie erwachte mit Schmerzen, die nur so lange abstrakt waren, bis sie den Kopf bewegte und ein Auge öffnete. So wird es auch weiterhin sein. Die Kugel war der Grund für diese Kopfschmerzen; als sie ihr den Unterkiefer zerschmetterte, hatte sie in ihrem Kopf einen Schalter umgelegt, und seither wurde sie in denkbar ungeeigneten Momenten von diesen Höllenqualen überfallen. Zu Hause hatte sie sich immer in ihr Schlafzimmer zurückgezogen wie in einen sicheren Hafen - die Zeit auf der Krähe war zum
Glück von solchen Episoden frei gewesen. Während der Anfälle war sie unausstehlich: sie jammerte, beschuldigte und beleidigte jeden, der in ihre Nähe kam, und verlangte, dass man jeder ihrer Launen nachgab. Sie schwelgte in Selbstmitleid und ließ niemanden im Unklaren darüber, dass ihr das Schicksal übel mitgespielt hatte und kein Mensch jemals die Qualen hatte erleiden müssen, die sie jetzt so tapfer ertrug.
Aber wenn sie sich diesmal davon beherrschen ließe, wäre sie wahrhaftig verloren. Nicht nur, weil sie hier niemand verhätscheln würde; in einem lichten Moment erkannte sie außerdem, dass alles Mitgefühl der Welt ihr Leben nicht retten könnte, wenn sie den Schwindel, den sie mit Garth ausgeheckt hatte, nicht zu Ende führte. Also kroch sie am späteren Vormittag entschlossen aus dem Bett, band sich ein Seidentuch über die Augen, stopfte sich Kerzenwachs in die Ohren, griff sich einen leeren Nachttopf und taumelte damit aus dem Zimmer. »Bringen Sie mir einen Morgenmantel«, antwortete sie auf die nur halbverstandene Frage einer Zofe. »Und holen Sie mir Flance.«
Sie schaffte es, mit verbundenen Augen und halbtaub, alle Arbeitstrupps aufzusuchen. Garth folgte ihr und las ihr aus den Büchern vor. Sie sagte ihm, welche Punkte er unterstreichen sollte, damit sie sich später eingehend damit befassen könne, erkundigte sich nach dem Stand der Arbeiten, machte Vorschläge. Und hin und wieder wandte sie sich ab und übergab sich diskret in den Nachttopf. Ihre Welt bestand nur noch aus dem Gefühl des Teppich- oder Steinbodens unter ihren Füßen, dem Gemurmel in ihrem Ohr und dem grausamen Hämmern im Innern ihres Schädels. Sie hielt sich
aufrecht, indem sie sich ausmalte, wie sie Jacoby Sarto und seine aufgeblasenen Amtskollegen, die dreist genug waren, sich ihr zu widersetzen, auspeitschte, beschoss, zu Tode trampelte und bei lebendigem Leibe verbrannte. Diese Horrorfantasien spielten sich nur in ihrem Innern ab, während sie höflich plauderte und sich im ganzen Haus herumführen ließ.
Es hatte zwar den Anschein, als brächte ihr Eifer sie voran, doch als Venera an diesem Abend auf ihr Bett fiel, wurde ihr klar, dass sie sich an nichts erinnerte, was sie den Tag über gesagt oder getan hatte. Der rote Schmerzschleier, der sie seit dem Morgen verfolgt hatte, deckte alles zu.
Sie war verloren. Sie würde niemals rechtzeitig für das Verhör bereit sein, dem der Rat sie zu unterziehen gedachte. Venera wälzte sich auf die Seite und weinte in ihr Kissen, aber irgendwann fügte sie sich in ihr Schicksal. Die Kugel hatte gesiegt.
Diese Einsicht brachte ihr so etwas wie Frieden, aber die Schmerzen waren so stark, dass sie dem Gefühl nicht auf den Grund gehen konnte. So lag sie nur da und starrte tränenlos ins Leere, bis der Schlaf sie übermannte.
10
»Was ist das denn?« Jacoby Sarto betrachtete mit finsterem Blick die vielen Rikschas im Hof unter dem frisch renovierten Eingang des Stammsitzes der Buridans. Es war sieben Uhr abends, Candesce war dabei, sich abzuschalten, und übergoss die Dächer mit bernsteinfarbenem Schein.
Weitere Kostenlose Bücher