SÄURE
Brüder ihre Zähne da hineingraben, lassen sie nicht mehr los! Deswegen müssen wir vorsichtig sein.«
»Was ist mit McCloskey?« entfuhr es ihr, »wissen Sie von ihm?«
Milo nickte.
»Warum gehen Sie dann nicht los, setzen ihn unter Druck? Noel und ich hätten das schon gemacht, wenn wir seine Anschrift gewußt hätten. Vielleicht bekomme ich es noch heraus und mache es selbst.«
»Das ist keine sehr gute Idee«, winkte Milo ab und wiederholte, was er schon zu Ramp gesagt hatte.
»Tut mir leid«, sagte sie, »aber sie ist meine Mutter, und ich muß tun, was ich für richtig halte.«
»Wieso, meinen Sie, daß Ihre Mutter Sie gern in einer Schublade im Leichenschauhaus sehen würde?«
Ihr Mund sprang auf. Sie schloß ihn, riß sich zusammen. Neben Milo sah sie winzig aus, beinahe komisch. »Sie versuchen mir ja nur Angst einzujagen.«
»Sie haben recht.«
»Aber das schaffen Sie nicht.«
»Verdammt schade.« Er warf einen Blick auf seine Timex. »Bin seit einer Viertelstunde hier und hab’ noch nichts getan. Wollen wir herumstehen und reden oder arbeiten?«
»Arbeiten«, sagte sie, »natürlich…«
»Ihr Zimmer«, schlug Milo vor.
»Hierher, kommen Sie!« Sie lief den Korridor hinunter, jede Spur von Müdigkeit war verschwunden.
Milo sah ihr nach und murmelte etwas, das ich nicht verstehen konnte.
Wir folgten ihr.
Sie erreichte die Tür, hielt sie auf. »Hier, ich zeige Ihnen, wo alles ist.«
Milo ging ins Wohnzimmer hinein. Ich folgte ihm.
Sie glitt an mir vorbei und stellte sich vor Milo hin, blockierte die Tür zum Schlafzimmer. »Noch etwas!«
»Was?«
»Ich bezahle Sie, nicht Don. Also behandeln Sie mich wie eine Erwachsene.«
16
Milo sagte: »Wenn Ihnen die Art nicht gefallt, wie ich Sie behandle, werden Sie es mir sicher sagen, nehme ich an. Was die Bezahlung angeht, einigen Sie sich darüber mit ihm.«
Er zog wieder sein Notizbuch hervor und sah sich in dem Wohnzimmer um, ging zu der grauen Couch, bohrte den Zeigefinger in die Polster, fuhr mit der Hand darunter entlang. »Was ist das hier, ein Wartezimmer für Besucher?«
»Ein Wohnzimmer«, sagte Melissa. »Sie hat keine Besucher gehabt. Mein Vater hat es so entworfen, weil er es so für vornehm hielt. Es war früher anders, sehr elegant, viel mehr Möbel, aber sie hat alles rausgeworfen und das hier reingestellt. Sie hat die Möbel nach einem Katalog bestellt. Im Grunde ist sie ein einfacher Mensch. Das ist eigentlich ihr Lieblingszimmer, wo sie den größten Teil ihrer Zeit verbringt.«
»Und was macht sie?«
»Sie liest sehr viel und wahnsinnig gern. Und sie macht ihre Gymnastik, das da hinten sind ihre Geräte.« Sie zeigte mit einem Finger in Richtung Schlafzimmer.
Milo betrachtete die Radierung von Mary Cassatt.
Ich fragte: »Seit wann hat sie das Bild, Melissa?«
»Mein Vater hat es ihr geschenkt, als sie mit mir schwanger war.«
»Hat er noch andere Cassatts gehabt?«
»Wahrscheinlich, er hatte eine Menge Arbeiten auf Papier. Sie sind alle oben im zweiten Stock gelagert, damit sie kein Sonnenlicht abbekommen. Darum ist der Platz hier ohne Fenster ideal.«
»Keine Fenster«, stellte Milo fest, »macht ihr das nichts aus?«
»Sie ist ein sonniger Mensch«, sagte Melissa, »sie macht sich ihr eigenes Licht.«
»Hmhm.« Er ging zu der grauen Couch zurück, nahm die Polster auf und legte sie wieder hin.
Ich fragte: »Wie lange ist es her, daß sie das Innere hier verändert hat?«
Beide sahen mich an.
»Nur neugierig«, entschuldigte ich meine Einmischung, »hinsichtlich etwaiger Veränderungen, die sie vor kurzem vorgenommen hat.«
Melissa sagte: »Es ist noch nicht lange her, ein paar Monate, drei oder vier. Das Zeug, das hier drin war, entsprach Vaters Geschmack, es war sehr ornamental. Sie ließ es in den zweiten Stock zur Aufbewahrung schaffen. Sie hat mir mal gesagt, sie hätte irgendwie ein schlechtes Gewissen, weil Vater soviel Zeit mit der Zusammenstellung verbracht hatte. Aber ich beruhigte sie, es wäre ihr Zimmer, und sie sollte tun, was sie für richtig hielt.«
Milo öffnete die Tür zum Schlafzimmer und ging hinein.
Ich hörte ihn fragen: »Sie hat das hier nicht sehr verändert, oder?«
Melissa eilte ihm nach. Ich ging als letzter hinein. Er stand vor dem Bett mit dem Baldachin. Melissa lächelte: »Ich schätzte, es gefällt ihr so, wie es ist.«
»Schätze ich auch«, sagte Milo.
Von innen wirkte der Raum sogar noch größer. Mindestens acht mal acht Meter groß, etwa fünf Meter hoch und mit
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