Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
in Addis Abeba und warten auf das Flugzeug, mit dem wir nach Frankreich fliegen. Es dauert noch, bis wir einsteigen können, sagt Papa. Deshalb schreibe ich dir wieder einen Brief, dann vergeht die Zeit schneller.
Die Reise ist sehr aufregend. Maman, Amir und Nour haben sehr geweint, als wir am Flughafen durch die große Glastür gegangen sind. Überall waren Männer in Uniformen und haben mit einem komischen Dings an uns rumgefuchtelt. Und Inabs Schuhe haben schrecklich laut gepiepst.
Meine Freundin Diane Pearl hat mir ganz genau erklärt, wie das geht mit dem Fliegen. Sie hat mir auch gesagt, dass ich überhaupt keine Angst haben muss. Aber ich hatte sowieso gar keine. Papa dafür umso mehr. Er wollte in dem langen Schlauch kurz vorm Einsteigen sogar umkehren und zurück nach Hause. Inab und ich haben laut gelacht. »Dann fliegen wir eben allein nach Europa«, haben wir ihm gesagt. Da ist er dann doch eingestiegen.
Die Stewardessen waren sehr lieb und haben uns alles erklärt. Und lustig waren sie auch. Bevor es losging, haben sie sich vor uns hingestellt und vorgemacht, wie man sich so eine komische Maske mit Luft aufsetzen muss. »Aber nur im Notfall«, hat die nette Frau gesagt. Dann hat sie wild mit den Armen gerudert, erst nach vorne und hinten, dann in alle anderen Richtungen. Das hat ganz schön doof ausgesehen.
Waris, ich freue mich sooo sehr, dich wiederzusehen. Ich habe dir so viel zu erzählen.
Wir freuen uns auf dich!
Je t’taime
Deine Safa
Der Brief, den mir Safa kurz vor ihrem Abflug nach Paris geschrieben hatte, sollte mich erst eine Woche später zu Hause in Danzig erreichen, wo ich mich von der letzten anstrengenden Reise erholte. Sophie, die Mitarbeiterin im Wiener Büro der Desert Flower Foundation, hatte in den vergangenen Monaten von Österreich aus die gesamte Europareise für Safa, ihren Vater Idriss und Inab organisiert. Wir wollten sie zunächst nach Paris holen, da sie in Frankreich immerhin die Sprache verstanden, in der Hoffnung, dass der Kulturschock dann nicht allzu groß wäre. Später sollte die Route sie dann noch nach Österreich und Deutschland führen.
Sophie hatte zwischendurch mehrmals mit Idriss und Inab telefoniert und sie so gut wie möglich auf die erste Reise ihres Lebens vorbereitet. Weil ich in Polen einige persönliche Dinge zu regeln hatte und zudem in den Sommerferien so viel Zeit wie nur möglich mit meinen Kindern verbringen wollte, würde ich erst in Deutschland dazustoßen. Aber bei Sophie und meinem Manager Walter wusste ich die drei in guten Händen.
Die achtzehnjährige Inab, der ich bei dem gemeinsamen Abendessen in meinem Hotel in Dschibuti meine Unterstützung versprochen hatte, fungierte als Reiseleiterin der kleinen Gruppe. Safa war dafür viel zu jung und Idriss zu ängstlich und unkoordiniert, für Inab dagegen war die Rolle der Rudelführerin nicht neu.
Wie mir die junge Afrikanerin in Dschibuti versichert hatte, war sie eine vehemente Gegnerin von FGM und fest entschlossen, sich aktiv zu engagieren. Deshalb wollte sie auch unbedingt für die Desert Flower Foundation arbeiten. Der Verwirklichung ihres Traums sollte sie nun, mit der Reise nach Europa, einen Schritt näher kommen.
Gebannt warteten Sophie, die aus Wien schon am Vorabend nach Paris gekommen war, und die Französin Linda Weil-Curiel, die unsere Gäste bereits aus deren Heimat kannte, am frühen Morgen in der Ankunftshalle auf die Reisenden aus Dschibuti. Dutzende Passagiere strömten mit Koffern und Taschen bepackt an den beiden vorbei, umarmten ihre wartenden Angehörigen und verschwanden durch den Ausgang.
Zwanzig Minuten vergingen, doch von der kleinen Reisegruppe aus Dschibuti fehlte nach wie vor jede Spur. Immer weniger Fluggäste kamen durch die Schiebetür, die schließlich verschlossen blieb.
»Wo können sie denn sein?«, fragte Sophie beunruhigt.
Linda war ebenso ratlos. »Keine Ahnung, ich glaube kaum, dass sie noch da drinnen sind.« Sie ließ den Blick durch die Ankunftshalle wandern. »Da drüben!«, rief sie plötzlich.
Sie spurtete auf ein kleines dunkelhäutiges Mädchen zu, packte es bei den Schultern und drehte es zu sich herum. Entgeistert starrte das Kind Linda an, während die Eltern es empört von ihr wegzogen.
»Ich dachte, das ist Safa. Sie hat ihr von weitem so ähnlich gesehen«, entschuldigte sich Linda niedergeschlagen, nachdem sie zu Sophie zurückgekehrt war.
Inzwischen war knapp eine Stunde seit der Landung der Maschine
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