Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
vergangen.
»Vielleicht hat man sie bei der Zwischenlandung in Frankfurt nicht durch den Zoll gelassen«, überlegte Sophie laut. »Oder die drei haben ihren Anschlussflug in Addis Abeba nicht erwischt, weil sie dort den Transitbereich verlassen haben und versehentlich durch den Zoll gegangen sind.«
»Ich hoffe nur«, sprach Linda auch Sophies Befürchtung laut aus, »Idriss hat nicht versucht, Kath nach Europa mitzunehmen, und ist deshalb verhaftet worden.«
Aufgeregt ging Sophie zum Informationsschalter, wo man ihr jedoch keine Auskunft darüber geben durfte, ob sich die drei an Bord der Maschine befunden hatten. Gerade als sie sich in fließendem Französisch beschweren wollte, hörte sie Lindas freudigen Schrei.
»Da sind sie! Sophie, sie sind da!«
Mit verlorenem Blick blieb Inab mitten in der Schiebetür stehen, direkt hinter ihr Idriss.
Safa drängte sich an ihnen vorbei und stürmte lachend auf Linda zu.
»Gehen Sie weiter!«, blaffte ein französischer Flughafenbediensteter und schob die beiden energisch in Richtung Ausgang.
Nachdem sich alle vorgestellt hatten, erklärte Idriss die Verspätung. »Unser Gepäck ist weg«, sagte er aufgeregt.
Enttäuscht fügte Safa hinzu: »Da sind alle Kleider drin, die wir haben … und so ein schönes Geschenk für euch.«
»Eure Sachen sind sicher beim Zwischenstopp hängen geblieben«, mutmaßte Sophie. »Setzt euch erst mal hin, ich werde mich gleich darum kümmern.«
Die Erschöpfung stand den Ankömmlingen aus Dschibuti ins Gesicht geschrieben. Müde ließen sich Inab und Idriss auf zwei Plastikstühlen in der Ankunftshalle nieder, während Sophie mit Safa an der Hand nach dem Schalter für verloren gegangenes Gepäck suchte. Ein Sicherheitsbeamter begleitete die beiden dorthin.
»Hallo, meine Kleine, du warst doch vorhin schon mal hier«, begrüßte eine freundliche Mitarbeiterin der Gepäckausgabe Safa auf Französisch.
Sophie bat um eine Nachricht, sobald das Gepäck gefunden sei, und überreichte der uniformierten Frau ihre Visitenkarte.
»Oh, Sie arbeiten bei der Desert Flower Foundation. Das ist doch die Organisation von Waris Dirie?«, stellte die Französin bewundernd fest.
In Frankreich leben sehr viele Afrikaner, daher ist die Foundation dort recht bekannt. Selbst hier, weit entfernt von der Heimat, waren viele junge Frauen von der Genitalverstümmelung betroffen. Wie in allen anderen europäischen Ländern auch, führten hier Frauenärzte illegal Beschneidungen an Frauen und kleinen Mädchen durch, natürlich nur gegen horrende Bezahlung.
»Ist das Waris Diries Tochter?«, wollte die Airline-Angestellte nun wissen.
»Nein, ich bin ihr Patenkind«, antwortete Safa stolz auf Französisch. »Ich habe in ihrem Film die kleine Wüstenblume gespielt.«
Die Frau am Schalter konnte ihr Erstaunen kaum verbergen.
Linda hatte in der Zwischenzeit ein Großraumtaxi organisiert, damit sie alle zusammen in die Stadt fahren konnten.
»Wow, ist das ein großes Auto«, staunte Inab.
Idriss dagegen zeigte sich nur wenig beeindruckt und steckte sich mit dem glühenden Stummel seiner Zigarette gleich ein neue an, während Sophie Safa in den Wagen half. Als sich das Mädchen am Griff der Autotür festhielt, rutschte der Ärmel seines Kleides hoch. Braune Bemalungen, die aussahen wie Tätowierungen, bedeckten ihre zarte, dunkle Haut.
»Was ist das?«, fragte Sophie, als sie weitere Zeichen an Safas zarten Beinen entdeckte.
»Das sind Hennabemalungen«, erklärte Inab.
Safa fügte hinzu: »Die hat eine Freundin von Maman gemacht. Man muss extra dafür bezahlen.«
Auf dem Weg in die Innenstadt erklärte Inab den beiden Europäerinnen die Bedeutung der Zeichen, die sich auch auf ihren Armen fanden. Sie dienten dazu, Reisende vor bösen Geistern zu beschützen.
Während das Taxi rasant über die Autobahn Richtung Innenstadt fuhr, wollte Sophie sich die Reisepässe unserer Gäste ansehen.
Stolz streckte ihr Safa ihren Ausweis entgegen. »Das ist mein erster Reisepass. Papa und ich sind die Einzigen in unserer Familie, die jetzt einen echten Ausweis haben.«
Neugierig betrachtete Sophie das Foto von Safa, und als sie weiterblätterte, entdeckte sie ein gelbes, gefaltetes Stück Papier, auf dem in schöner Schrift auf Französisch geschrieben stand:
Liebe Waris Dirie,
ich habe in deinem Film mitgespielt. In Dschibuti bin ich eine bekannte Schauspielerin und Komikerin. Von Fozia habe ich gehört, dass du Inab und Safa nach Europa eingeladen hast.
Waris,
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