Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
liegen. Pierre Foldès, rekapitulierte ich den Namen, den ich soeben in meinem intensiven Traum gelesen hatte. Ich kannte diesen Mann tatsächlich. Er war ein berühmter französischer Mediziner, der sich seit zwölf Jahren mit der operativen Rekonstruktion von Vagina und Klitoris nach Genitalverstümmelungen beschäftigte. Ich wusste, dass er mit seiner weltweit anerkannten Operationstechnik inzwischen jährlich rund zweihundert Frauen zu einem neuen Leben verhalf. Im Zuge meiner Arbeit hatten wir mehrfach Kontakt gehabt. Dr. Pierre Foldès gab es also auch im wahren Leben – im Gegensatz zu dem Desert Flower Center in Form eines Krankenhauses, wie ich es in meinem Traum vor Augen gehabt hatte. Eine solche Einrichtung gab es nicht.
»
Noch
nicht«, sagte ich laut zu mir selbst und ging nach nebenan, um nach Leon zu sehen.
Anschließend rief ich umgehend meinen Manager und Vertrauten Walter an, den ich am Flughafen erwischte, wo er auf seine Maschine nach Paris wartete. Er war der wichtigste Mann in der Desert Flower Foundation, die wir zusammen gegründet hatten, um anderen Frauen das Schicksal zu ersparen, das mich für immer prägen wird. Er war ebenfalls der Überzeugung, dass wir unsere Arbeit ausweiten mussten, und war seit Monaten mit den Vorbereitungen für mehrere Desert Flower Center befasst, in denen wir beschnittenen Mädchen eine Rekonstruktion ermöglichen wollten. Als er mir zum ersten Mal von seinem Plan erzählt hatte, war ich ihm spontan um den Hals gefallen. Ich liebte ihn für seine Begeisterung für unsere Arbeit und seine Art, groß zu denken. Wie für mich galt auch für ihn die Devise: »Geht nicht gibt’s nicht.« Dieses Motto und unser unbändiger Wille hatte die Desert Flower Foundation in den letzten Jahren so weit gebracht und würde die Organisation in den nächsten Jahren sicher noch viel weiter bringen.
Doch zunächst war Walter erst mal auf dem Weg nach Frankreich, um unseren Freunden Inab, Idriss und Safa aus Dschibuti in einem Minivan eine Fahrt durch Europa zu ermöglichen. Natürlich wäre es einfacher gewesen, sie mit dem Flugzeug nach Wien zu holen. Doch wir wollten den dreien mehr zeigen als Flughäfen und Metropolen. Wir wollten ihnen auch die Natur fernab ihres Heimatkontinents näherbringen. Unser Plan sollte aufgehen.
»Hier ist es überall wunderschön grün«, stellte Idriss, der neben Walter auf dem Beifahrersitz saß, nach gut drei Stunden Fahrt fest.
Seit mein Manager und Sophie die Truppe in Paris in den Wagen verfrachtet hatten, hatte der Somalier kein Wort gesagt und stumm die blühende Landschaft Frankreichs an sich vorüberziehen lassen. Nun fing er an, mit Walter über Frankreich und Dschibuti zu plaudern. Inab, die neben Sophie in der zweiten Reihe saß, war eingeschlafen, und auch Safa war auf dem Sitz hinter ihnen eingenickt, die Kopfhörer noch in den Ohren. Sanft zog Sophie dem Mädchen den iPod aus der Hand und deckte es mit ihrer Jacke zu.
Zu Beginn der Fahrt hatte Safa die Musik nicht laut genug aufdrehen können. Schon bald sang die Kleine die Songs lauthals mit, obwohl sie kein Wort Englisch sprach. »Get Lucky« von Daft Punk gefiel ihr so gut, dass sie es gleich mehrmals hintereinander abspielte. Den iPod hatte sie ab da nicht mehr aus der Hand geben wollen.
Nach einer weiteren Stunde Fahrt fragte Sophie mit einem Blick auf Inab und Safa, die inzwischen ungeduldig auf ihren Sitzen zappelten, nach vorne: »Können wir vielleicht mal eine Pause machen?«
»Ja klar, wir haben ohnehin keinen Sprit mehr.« Walter setzte den Blinker und steuerte den nächsten Rastplatz an.
Während mein Manager tankte, begleitete Sophie die Mädchen eilig zur Toilette, und Idriss steckte sich fahrig eine Zigarette an. Das Rauchverbot in dem Leihwagen schien ihm ziemlich zuzusetzen.
Wie befürchtet war das Damen- WC heillos überfüllt.
»Ich muss aber ganz dringend«, winselte Safa.
Kurzerhand gingen die drei auf die Herrentoilette. Während Inab in einer Kabine verschwand, wollte Sophie zusammen mit Safa in die andere.
»Nein, warte draußen«, sagte die kleine Somalierin streng und schob Sophie hinaus.
»Aber Safa, wir sind doch beide Mädchen. Ich guck dir schon nichts weg«, konterte die Österreicherin, da sie die Aufregung nicht verstand.
Safa wurde regelrecht panisch. »Bleib draußen!«, schrie sie und knallte die Tür zu.
Sophie war irritiert. Während sie das Verhalten bei einem europäischen, wohlbehüteten Mädchen als kindliche Scham
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