Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
zwischen Deutschland und Österreich passierten, fragte Safas Vater verwundert: »Warum gibt es hier denn keine Grenzkontrollen? Müssen wir denn nicht unsere Pässe vorzeigen und unser Gepäck durchsuchen lassen?«
Daraufhin erklärte Walter ihm das Prinzip der Europäischen Union.
»Das heißt, jeder kann zwischen den einzelnen Ländern hin- und herfahren, wie er möchte?« Idriss konnte es nicht fassen.
»Ja, als EU -Bürger schon«, antwortete nun Sophie. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, worüber Safas Vater gerade nachdachte. »Nicht- EU -Bürger benötigen dagegen eine Aufenthaltsgenehmigung, um von diesem Recht Gebrauch machen zu dürfen.«
»Schaut, das da vorne sind die Alpen.« Sophie deutete aus dem Fenster, um das heikle Thema zu wechseln.
Die mächtigen Felsbrocken ragten ehrfurchterregend vor ihnen in den hellblauen Himmel. Safa, Idriss und Inab drückten sich die Nasenspitzen an den Fensterscheiben platt und bestaunten die prächtigen Berge, deren schneebedeckte weiße Spitzen sich deutlich von den saftig grünen Tälern abhoben.
»Das ist wunderschön«, sagte Inab leise. »Wohnst du hier?«
Sophie musste lachen. »Nein, ich wohne mitten in Wien, aber mein Papa kommt von einem solchen Berg. Siehst du, wie hoch er ist? Das sind fast dreitausend Meter«, erklärte sie und fuhr mit ihren Erzählungen fort. »Als Kind ist mein Papa im Winter immer auf Skiern vom Berg runter ins Tal in die Schule gefahren.«
Safa sah sie mit großen, fragenden Augen an. »Was sind Skier?«
Sophie rang verzweifelt nach Worten.
Walter half ihr aus. »Das sind zwei Bretter, die man sich unter die Füße schnallt, damit kann man auf dem Schnee dahingleiten.«
Sophie fügte hinzu: »Das ist wirklich lustig. Man wird ganz schön schnell dabei, und es macht ebenso viel Spaß wie das Achterbahnfahren, das ihr in Paris probiert habt.«
Begeistert klatschte Safa in die Hände. »Das möchte ich auch versuchen. Fahren wir morgen Ski … bitte?«, rief sie.
Walter erklärte ihr, dass dies nur im Winter möglich sei. »Aber du wirst uns ganz bestimmt noch einmal besuchen kommen, und dann werden wir es dir beibringen.«
Die Idee gefiel auch Idriss, der immer noch fasziniert auf die Berge starrte. »Das möchte ich auch lernen«, meinte er leise und fragte vorsichtig: »Stimmt es, dass Schnee ganz kalt ist?«
»Eiskalt«, sagte Sophie nur.
Danach hing jeder seinen Gedanken nach, bis sie den Mondsee erreichten. Die Sonne knallte auf das Dach des roten Minivans, dessen Klimaanlage kaum gegen die brütende Mittagshitze ankam. Die Wellen des tiefblauen Sees, den man von der Autobahn aus sehen konnte, tanzten schimmernd über die Wasseroberfläche.
»Das Meer, das Meer«, rief Safa aufgeregt und fragte sofort ungeduldig: »Wann gehen wir schwimmen? Ich habe extra den Badeanzug, den mir Waris gekauft hat, aus Dschibuti mitgebracht.«
Walter warf Sophie im Rückspiegel einen vielsagenden Blick zu, und ihr war sofort klar, dass er etwas im Schilde führte. »Ich habe eine großartige Idee«, sagte er dann. »Wir fahren hier ab und springen kurz in den See.«
Da Safa und Inab jubelten und auch Idriss sich über eine Rauchpause und ein wenig Erfrischung zu freuen schien, setzte Walter rasch den Blinker und fuhr von der Autobahn ab. Wenige Minuten später hielten sie an einem öffentlichen Badestrand, an dem sich Dutzende Kinder und Jugendliche ausgelassen vergnügten.
Auf dem Weg zu den Umkleidekabinen überlegte Sophie, dass sich ihr nun eine zweite Chance bot, um herauszufinden, ob Safa unversehrt war. Seit dem besorgniserregenden Ausbruch des Mädchens auf der Toilette der Raststätte ging ihr der Gedanke nicht aus dem Kopf, dass mein Patenkind möglicherweise längst beschnitten war. Gut möglich, dass sich Safas Mutter und deren Schwiegermutter trotz des Vertrags gegen Idriss durchgesetzt und Safa zu einem – aus ihrer Sicht – »reinen« Mädchen gemacht hatten.
Abermals verwehrte das Kind Sophie den Zutritt. »Du bleibst draußen und passt auf, dass keiner kommt«, sagte Safa bestimmt und ließ die Kabinentür nur einen winzigen Spalt offen.
Inab war schnell umgezogen. Sie besaß keinen Badeanzug und hatte sich deshalb einfach Shorts und ein T-Shirts übergestreift. Safa dagegen schien ewig zu brauchen.
»Hilfe, ich hänge fest«, ächzte die kleine Wüstenblume in der Umkleidekabine.
Vorsichtig öffnete Sophie die Tür und sah, dass Safa den Badeanzug verkehrt herum angezogen hatte, weshalb ihre Rastazöpfe
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