Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
auf ihren Computerbildschirm und sah sich jedes einzelne Foto von Safa in Paris an.
»Wo sind die anderen?«, begrüßte sie ihre Kollegin ungeduldig. »Konntest du herausfinden, ob Safa okay ist?«
Niedergeschlagen berichtete die Kolumbianerin, dass sie im Kaufhaus verbal mit Safas Vater aneinandergeraten war, als Inab Shorts und Sport-BHs anprobiert hatte. Juliana hatte versucht, sie zu überreden, Badeanzüge oder Bikinis zu probieren, doch Inab fühlte sich allein bei dem Gedanken, Haut zu zeigen, sichtlich unwohl. Als Muslim war Idriss strikt dagegen, dass die Mädchen sich so freizügig zeigten.
»Ich war ehrlich gesagt froh, als wir aus dem Laden raus waren«, gestand sie Sophie. »Und wegen Safa konnte ich leider auch nichts ausrichten.« Sie klang zerknirscht. »Jetzt sind die drei im Hotel, um sich auszuruhen.«
Enttäuscht betrachtete Sophie das Bild auf ihrem Monitor: Safa glücklich strahlend auf dem Rummelpatz in Paris, ausgelassen und unbeschwert.
»Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass Safa beschnitten worden ist. Sie war so fröhlich, und es gibt kein einziges Anzeichen dafür, dass sie Schmerzen hat«, überlegte sie laut. »Trotzdem lässt mir das keine Ruhe.«
Kurzentschlossen griff sie zu ihrem Handy und wählte meine Nummer in Polen.
»Waris, Idriss dürfte gerade allein in seinem Hotelzimmer sein. Das heißt, du könntest jetzt in Ruhe mit ihm sprechen«, sagte sie zu mir. »Hast du was zu schreiben? Dann gebe ich dir schnell die Nummer durch.«
»Hallo, Idriss?«
Nicht eine Sekunde hatte ich gezögert, Safas Vater anzurufen. Ich wollte endlich die Wahrheit erfahren – egal wie grausam sie war.
Der Mann wirkte verstört. »Waris? Waris Dirie?«
Als er endlich glaubte, dass ich tatsächlich am Apparat war, begann ich zunächst diplomatisch mit ihm zu plaudern. »Wie geht es euch denn so? Gefällt es euch in Europa?«, fragte ich möglichst unverfänglich.
Idriss dagegen fiel sofort mit der Tür ins Haus. »Gut, dass du mich anrufst, Waris«, er sprach nun in Somali mit mir, »wir finden Europa ganz toll. Deshalb möchten wir auch gerne für immer hierbleiben.«
Sophies Erklärungen, dass dies alles andere als einfach wäre, hatten offenbar keinerlei Wirkung gezeigt.
»Idriss«, ich versuchte mich in Geduld zu üben, »wir sehen uns in wenigen Tagen in der Nähe von München. Dann können wir in Ruhe über alles sprechen. Eine wichtige Frage muss ich dir aber vorher schon stellen.« Ich machte eine kurze Pause und holte tief Luft. »Ich werde in München einen Preis für meine Arbeit entgegennehmen und möchte euch alle zur Verleihung mitnehmen. Ich werde dort für meinen Kampf gegen FGM geehrt, Idriss. Du weißt, wie wichtig mir meine Arbeit ist, oder?«
Safas Vater verstand nicht gleich, worauf ich hinauswollte, und sagte bloß: »Ja, klar.«
»Sophie sagt, Safa hat sich auf eurer Reise ein paarmal recht seltsam verhalten. Idriss«, betonte ich eindringlich seinen Namen und fuhr in meiner Muttersprache fort, »ist deine Tochter seit meinem letzten Besuch in Dschibuti beschnitten worden?«
Mehrere Sekunden vergingen. Sie kamen mir vor wie Minuten, Stunden …
Endlich antwortete er mir. »Wie kommst du denn darauf? Was heißt, Safa hat sich komisch verhalten? Sie ist wie immer«, schnaubte Idriss aufgebracht ins Telefon.
Am Klang seiner Stimme versuchte ich zu erkennen, ob er sich ertappt fühlte oder nur beleidigt war, dass ich ihm nicht vertraute.
»Wir haben einen Vertrag, Waris, und an den haben wir uns bisher gehalten. Wir brauchen die Lebensmittel und das Geld, das ihr uns schickt.«
Mein Atem, den ich gefühlt mehrere Minuten angehalten hatte, setzte langsam wieder ein. Safas Vater würde mich doch wohl nicht anlügen.
»Gut, das wollte ich nur wissen«, sagte ich schließlich erleichtert und wollte eine belanglose Unterhaltung beginnen.
Doch Safas Vater hatte genug. »War das alles?« Noch bevor ich etwas erwidern konnte, fuhr er schnippisch fort: »Na gut. Wir sehen uns in ein paar Tagen, und dann reden wir noch mal über den Vertrag. Schönen Abend noch.«
Sprachlos hielt ich mein Handy ans Ohr, obwohl Idriss in seinem Hotelzimmer in Wien längst aufgelegt hatte. Die wichtigste Frage war geklärt: Mein Patenkind, meine geliebte kleine Wüstenblume, war immer noch unversehrt. Dennoch wusste ich tief in meinem Innern, dass mein Kampf für die Rettung Safas immer noch nicht ausgestanden war. Idriss hatte sich mit der Aussage, dass seine Familie
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