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Sag, dass du eine von ihnen bist

Sag, dass du eine von ihnen bist

Titel: Sag, dass du eine von ihnen bist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwem Akpan
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Fuß zu verfolgen. Manche Grundschulen hatten kein Dach, und er sah Schultafeln auf offenem Feld in Mango- oder Melinabäumen hängen. Die kahlen Kreise auf der Erde rund um diese Bäume verrieten ihm, dass die Kinder hier ebenso wie in manchen Teilen Khamfis unter freiem Himmel unterrichtet wurden.
    Während die Fernsehbilder zeigten, wie das Militär die Aufständischen durch die Stadt jagte, sagte ein Reporter, dass nicht
alle in der aufgebrachten Flüchtlingsschar tatsächlich aus dem Norden stammten. Die Kamera richtete sich auf einige Leute aus dem Süden, die, so wurde behauptet, sich ebenfalls in den Kasernen versteckten. Der Reporter sagte, sie seien vor der Gewalt ihrer Landsleute hierher geflohen – sie hatten versucht, Menschen aus dem Norden zu retten –, und setzte hinzu, dass es den Nordlern nicht passte, Leute aus dem Süden in ihrer Mitte zu haben, da man sich nicht sicher war, warum sie sich ihnen angeschlossen hatten. Der einzige Unterschied, den Jubril zwischen den beiden Gruppen erkennen konnte, war die Art, wie sie sich kleideten.
    Der Reporter redete noch, als ihm jemand ins Ohr flüsterte. Einen Moment lang hörte er schweigend zu, dann verkündete er: »Angesichts der Krise in unserem Land hat die bundesdemokratische Regierung beschlossen, dass bis auf weiteres keine Leichen mehr zur Beerdigung von einem Landesteil in einen anderen transportiert werden dürfen. Die Regierung gab dem Militär Anweisung, jedes Fahrzeug, ob Bus oder Lastkraftwagen, anzuhalten, mit dem gegen diesen Erlass verstoßen wird.«
     
    Dann zeigte die Kamera einen Mann, den der Reporter als Anführer des Hausa-Fulani-Stammes in Onyera vorstellte. Er war groß, schlank und schwarz wie Tega. Um den Kopf trug er einen Verband, trotzdem rann ihm Blut wie Tränen übers Gesicht. Er sprach mit geschlossenen Augen, als blendeten ihn die Blitzlichter der Kameras. Sein Anblick verstörte Jubril. Am liebsten hätte er sich abgewandt, nur die Erinnerung an Mallam Abdullahi, ebenfalls ein Hausa-Fulani, konnte ihn beruhigen.
    »Ich heiße Yo … Yohanna Tijani«, stammelte der Anführer ins Mikrofon des Reporters. »Ich habe nie im Norden gelebt … Wie so manche von euren Vorfahren ist auch mein Urgroßvater vor hundert Jahren hergezogen. Ich bin in Onyera geboren und hier aufgewachsen. Meine Mutter stammte aus
dem Süden, eine Ibo, und ich habe auch eine Ibo geheiratet, da die Ibos uns als ihresgleichen akzeptieren. Ich flehe euch an, meine Großeltern und Verwandten: Verschont unser Leben. Wir haben den Scharia-Krieg in Khamfi nicht angefangen. Die meisten Muslime in diesem Land sind friedliebende Menschen … Wir, die wir gemeinsam mit euch hier leben, haben keinen jener Menschen getötet, deren Leichen nun mit den Luxusbussen eintreffen. Jetzt aber töten wir auch … um uns zu verteidigen. Wir vergießen Blut, wir haben uns schuldig gemacht, vergebt uns …« Der Ton wurde abgestellt; im Bus hörte man nur noch statisches Rauschen. Die Polizei drehte die Fernseher leiser, bis man bloß noch das sanfte Summen des Busses vernahm, das Sirren der Reifen auf der Straße, das Geklapper der Jalousien vor den Fenstern. Gleich darauf löste sich das Bild in wacklige, schiefe Streifen auf und verschwand dann vollständig.
    »Gott, lass nicht zu, dass unser Bus von Soldaten angehalten wird!«, sagte Ijeoma. »Sind ja schließlich keine Leichen bei uns.«
    »Was ist das nur für ein Land?«, fragte einer der Flüchtlinge.
    In der Fernsehpause fingen sie an, die Folgen der Regierungsanordnung zu analysieren. Man war allgemein der Ansicht, dass die Regierung kein Recht hatte, irgendwen daran zu hindern, die Leichen der Landsleute zur Beerdigung nach Hause zu bringen. Außerdem wurde ihr vorgeworfen, in Khamfi nicht genug zum Schutz der Menschen getan zu haben. Dem Präsidenten dagegen kreidete man an, nicht früh genug Militär entsandt zu haben, wie er es gewiss getan hätte, wenn Ölanlagen im Delta in Gefahr gewesen wären, und über die Senatoren hieß es, sie hätten keine eindeutige Position gegen die Vorgänge im Land bezogen – sie seien von derselben religiösen Kluft gelähmt gewesen, die auch das Land zerreiße. Und den Richtern sagte man nach, Fälle von religiösem Fanatismus nie schnell genug behandelt zu haben.
    »Die Lage ist hoffnungslos«, erklärte Emeka, der ein wenig von seiner früheren Lebhaftigkeit zurückzugewinnen schien.
    »Fangen Sie schon wieder an, Ärger zu machen?«, hielt ihm einer der Polizisten

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