Sag, es tut dir leid: Psychothriller (German Edition)
Gefühl, du sitzt in der Falle.«
Sie blickt zu mir hoch und wieder auf den Fluss. »Mehr oder weniger.«
Eine Böe drückt ihren Mantel an ihren Körper und weht ihr Haar auf. Wir sind an einer Wegbiegung angekommen. Vor uns liegt ein Pub mit heruntergelassenen Jalousien und blinkender Weihnachtsbeleuchtung über der Tür. Ich drücke mich an sie und küsse sie unbeholfen, während ich mit der Hand unter ihrem Mantel nach ihrer Brust taste.
Ihr Mund schmeckt nach Rauch und irgendwie nach Hefe, erregend. Es ist ein Kuss, wie ich ihn vor Jahren für selbstverständlich gehalten hätte – innig und ohne Eile –, doch jetzt kommt er mir vor wie ein rares Geschenk. Victoria schiebt mich behutsam von sich und blickt über meine Schulter, als würde sie hinter mir etwas sehen oder jemand uns heimlich beobachten. Dieses Gefühl habe ich mit ihr oft, dass sie verträumt und mit den Gedanken anderswo ist oder nach einem anderen als mir Ausschau hält.
»Wir haben miteinander geschlafen«, sagt sie. »Das war keine gute Idee.«
»Warum nicht?«
»Es gab von Anfang an einen Interessenkonflikt. Du hast einen meiner Patienten begutachtet. Man könnte es missdeuten …«
»Den Sex?«
»Ja.«
»Ich weiß, es war nicht weltbewegend. Niemand wird Gedichte darüber schreiben oder ein Wandgemälde schaffen, aber ich würde es gern noch mal machen.«
Sie lacht. »Du bist ein wundervoller Mann, Joe. Viel besser, als du selbst denkst.«
»Aber?«
»Du hast keine Ahnung, worauf du dich einlässt.«
Ich bin der mit der Krankheit, hätte ich beinahe gesagt.
Wir atmen beide aus, und unser beschlagener Atem vereint sich zu einer Wolke.
Mein Blick fällt auf eine leere Bushaltestelle hinter ihr, und ich muss an Natasha und Piper denken. Sie wollten Emily an jenem Sonntagmorgen treffen, sind jedoch irgendwo zwischen Natashas Haus und dem Bahnhof Radley verschwunden, eine nicht einmal einen Kilometer weite Strecke, die zum größten Teil an Feldern entlang und über Fußwege führt.
Ich versuche noch einmal, mir die Szene auszumalen, doch ich sehe die Mädchen nicht. Ich bin bei ihnen zu Hause gewesen, habe versucht, ihre Persönlichkeiten zu verstehen, kann mir allerdings nicht vorstellen, dass sie diesen Weg gegangen sind.
Und praktisch im selben Atemzug verändert sich der Geschmack in meinem Mund.
»Sie waren nie da«, sage ich laut.
»Was?«
»Die Mädchen waren nie da.«
»Ist alles in Ordnung mit dir?«
»Nein. Ich muss jemanden sprechen.«
»Es ist drei Uhr morgens.«
»Ich weiß.«
Wir gehen eilig zurück zum Wagen. Ich setze rückwärts aus der Lücke, wende und fahre nach Abingdon. Ich halte mich an den Mittelstreifen und fliege über Bodenwellen. Die Hecken erscheinen im Licht der Scheinwerfer mattsilbern, und die Landschaft stürzt auf uns zu. Zwanzig Minuten später halten wir vor dem mittlerweile vertrauten kiesverputzten Haus. Auf der Straße parken Polizeiwagen mit flackernden Lichtern. Zwei Detectives führen Hayden McBain in Handschellen aus dem Haus. Er zeigt grinsend die Zähne, die im Scheinwerferlicht wie gebleicht wirken.
Alice McBain kreischt: »Lassen Sie meinen Jungen los! Er hat nichts getan!« Ihre Augen sind von glitzernden Tränen verschmiert.
Drury stellt sich ihr in den Weg. »Sackt seine Kleidung ein. Durchsucht das Haus.«
Auf der Straße ist die Außenbeleuchtung von mehreren Häusern angegangen, Gardinen werden beiseitegezupft.
DS Casey steht an der offenen Wagentür. Er drückt Haydens Kopf herunter, schlägt die Tür zu und verriegelt sie.
Ich gehe durch den Vorgarten, schlüpfe durch eine Lücke in der Hecke und habe das Gefühl, auf eine hell erleuchtete Bühne zu treten. Mrs McBain erkennt mich zunächst nicht und versucht, mir auszuweichen.
»Haben Sie die Mädchen an dem Morgen gesehen?«, frage ich sie. Es klingt wie eine Beschuldigung.
Alice wirft mir einen kurzen Blick zu und sorgt sich dann wieder um Hayden, der weggebracht wird.
Ich versuche es noch einmal. »Sie haben gesagt, Sie hätten an dem Sonntagmorgen mit Piper und Natasha gesprochen. Sie haben an Natashas Tür geklopft gesagt, dass sie aufstehen sollen.«
»Ja und?«
»Haben Sie sie gesehen?«
»Natürlich«, sagt sie, schon nicht mehr so sicher.
»Haben Sie die Zimmertür geöffnet?«
Alice runzelt die Stirn und versucht, sich zu erinnern.
»Woher wussten Sie, dass sie in dem Zimmer waren?«
»Ich habe geklopft. Sie haben geantwortet.«
»Wer hat geantwortet?«
»Ich weiß nicht mehr«, sagt
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