Sag Mami Good bye - Fielding, J: Sag Mami Good bye - Kiss Mommy Good Bye
hinten im Gerichtssaal hatte er gesessen. Jetzt erhob er sich und schritt an ihr vorüber, um seinen Platz im Zeugenstand einzunehmen. Sonderbar, wie linkisch seine Bewegungen wirkten. Starr war ihr Blick auf ihn gerichtet – auf diesen Mann, der gegen sie aussagen würde. Er war von mittlerer Größe, war mittleren Alters. Dieses Wort »mittel« kennzeichnete ihn samt und sonders: Mittelschicht, Mittelmaß. Donna mußte unwillkürlich lächeln. Bekam einen irgendwie absurden Klang, dieses Wort, wenn man’s
mehrmals wiederholte: mittel... mittel... mittel... Sein braunes Haar war sorgfältig zur einen Seite gekämmt, um eine aufknospende kahle Stelle zu bedecken. Wieder mußte sie über ihre eigene Wortwahl lächeln. Wie konnte man von einer kahlwerdenden Stelle als »aufknospend« sprechen? Andererseits – wieso eigentlich nicht? Sie konnte sich so etwas leisten. Sie war ja nicht zurechnungsfähig. In diese Kerbe würde wohl auch jener »mittlere« Herr hauen. Donna Cressy, von Haus aus meschugge. Unfähig, ihre beiden kleinen Kinder aufzuziehen. Plötzlich schien es ringsum kein Lächeln mehr zu geben. Verdammt soll er sein, dieser Kerl, dachte sie. Wer immer er sein mochte.
Mit einem Mal wurde ihr bewußt, daß ihr keineswegs klar war, um wen es sich eigentlich handelte. Victor würde ihn für sich und seine Sache einspannen, soviel stand fest – und irgendwie machte sie das nervös. Unwillkürlich warf sie Mel (der etliche Reihen hinter ihr saß) einen hastigen Blick zu: einen fragenden Blick, mit erhobenen Augenbrauen angedeutet. Kannte er diesen Mann? Seine Antwort bestand in einem kaum merklichen Schulterzukken.
Donna blickte wieder zum Zeugenstand. Der Mann dort besaß ein solches Durchschnittsgesicht, daß man es sich selbst bei aller Konzentration kaum merken konnte. Das einzig wirklich Auffällige schien die schlaffe Haut zu sein. Obwohl sie in ihrer Tönung durchaus gesund wirkte, war es, als habe er sich über das nackte Fleisch einen zu großen Mantel gezogen.
Im übrigen wies er keinerlei bemerkenswerte Kennzeichen auf. Er sah weder hübsch aus noch häßlich, weder freundlich noch unfreundlich, sondern ganz einfach – mittel. Mittelmaß in jeglicher Hinsicht. Genau jener Typ also, den man zu übersehen pflegt, wenn es etwa um eine Beförderung geht.
Seine Stimme klang ruhig. Keineswegs unangenehm. Donna beugte sich auf ihrem Sitz unwillkürlich ein Stück vor. Sie wollte genau hören, was dieser Mann zu sagen hatte.
Der Protokollant fragte ihn nach Namen, Adresse, Beruf.
»Danny Vogel«, sagte der Mann und mied den Blick in Donnas Richtung. »114 Tenth Avenue, Lake Worth. Ich bin Versicherungsagent.«
Der Richter forderte Danny Vogel auf, lauter zu sprechen, und Danny Vogel nickte wortlos.
Sie erinnerte sich an den Namen. Danny Vogel. Nach und nach kam auch der Rest richtig ins Bild, ähnlich wie bei einer Polaroid-Kamera, wo man buchstäblich zusehen kann, wie sich das Foto »aufbaut«.
Seine Adresse – nicht unvertraut. Sie war dort gewesen, war dort hingefahren. Unwillkürlich schauderte sie zusammen. Sie erinnerte sich. Er arbeitete mit Victor. Natürlich kannte sie diesen Mann. Allerdings hatte er inzwischen ungeheuer abgenommen. Deshalb wirkte die Haut so schlaff, und deshalb hatte sie ihn auch zunächst nicht wiedererkannt.
Dennoch: Was suchte er hier? Weshalb wurde er in den Zeugenstand gerufen? Wann war er wohl das letzte Mal in ihrem Haus zu Gast gewesen? Hatte er ihre Kinder jemals wirklich gesehen? Wie also sollte er bezeugen, was für eine Art Mutter sie war?
»Seit wann kennen Sie Mr. Victor Cressy?« fragte Ed Gerber, Victors Anwalt.
Mit deutlich vernehmbarer Stimme (er hatte sich die Ermahnung des Richters also sehr zu Herzen genommen) erwiderte Danny Vogel: »Seit ungefähr acht Jahren. Wir arbeiten im selben Büro.«
»Würden Sie sich als guten Freund von Victor Cressy bezeichnen?«
»Ja, Sir.« Er nickte und heftete seinen Blick auf Victor, suchte Bestätigung. Ob Victor darauf reagierte, war für Donna nicht feststellbar.
»Und Mrs. Cressy?«
»Sie kannte ich weniger gut«, erklärte er, den Blick nach wie vor auf Victor gerichtet.
Weniger gut, dachte Donna. Er hat mich überhaupt nicht gekannt. Wir wurden einander vorgestellt, das ist auch alles. Bei verschiedenen gesellschaftlichen Anlässen haben wir miteinander ein paar belanglose Worte gewechselt: Hallo. Auf Wiedersehen. Ja, ich nehme noch einen Drink. Weniger gut! Was sich aus – oder zwischen –
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