Sag Mami Good bye - Fielding, J: Sag Mami Good bye - Kiss Mommy Good Bye
mitunter konnte er einem schon auf die Nerven gehen, wollte dies, forderte das – mochte immer noch nicht allein aufs Klo gehen, ohne daß sie ihn »abhielt«; doch sie hatte viel, viel Freude mit ihm; und sie liebte ihn.
Victor hingegen liebte sie nicht; nicht mehr.
So einfach war das.
Lange Zeit hatte sie sich einzureden versucht, daß sie ihn zweifellos
liebte, weil sie sonst niemals so wütend auf ihn sein könne; Liebe und Haß, das seien gleichsam zwei Seiten ein und derselben Münze, die mal so, mal so rollte und fiel. Wenn sie ihn – so ihre Schlußfolgerung – mit ungeheurer Intensität verabscheuen konnte, dann mußte sie ihn doch wohl auch mit gleicher Intensität lieben können.
Es war das, was die Psychologen »rationalisieren« nennen: ein bequemes Sich-selbst-einreden, eine griffige Ausflucht.
Wann hatten sie sich das letzte Mal unterhalten, ohne daß es zum Streit gekommen war? Wann hatten sie jemals wieder über Haiku-Lyrik gesprochen? Wann hatten sie einander das letzte Mal in die Augen geblickt, einfach so, voll Vertrauen – ohne jenen Argwohn, der auch die kleinste Äußerung des anderen ihm vorhinein absuchte, ob sie nicht irgendeine Spitze enthielt?
Er fühlte sich wahrscheinlich genauso unglücklich wie sie.
Sie waren beide unglücklich, und das mußte natürlich negative Auswirkungen haben für ihr Söhnchen, für Adam. Immerhin: Während der Entbindung hatte sich Victor geradezu musterhaft verhalten.
Wenn schon! fiel sie sich selbst ins Wort. Für vierundzwanzig Stunden brachte das jeder mal fertig. Was war schon ein einziger Tag in einem ganzen Leben! Das war nicht fair von ihr, sie wußte es; doch was tat’s. Sie hatte es satt, fair zu sein. Schon gut – Victor war kein Ungeheuer, war vielmehr die verkörperte Hilfsbereitschaft gegenüber alten Damen und verlaufenen Hunden – meistens benahm er sich sogar wie ein anständiger Mensch. Bloß – zwischen ihnen beiden stimmte es nicht. Vielleicht war es zwischen ihm und seiner ersten Frau ähnlich gelaufen – sie wußte es nicht. Es war auch nicht weiter wichtig. Wichtig war nur, wie er sich ihr gegenüber verhielt; und man mochte es drehen und wenden, wie man wollte – ihre Ehe mit Victor war eine Katastrophe. Und ganz gleich, wer Schuld hatte, sie oder er oder beide, sie machten einander nur unglücklich; und sie war zu jung, um den
Rest ihres Lebens wegzuwerfen, weil sie damit nichts Besseres anzufangen wußte. Sie wußte sehr wohl etwas Besseres damit anzufangen.
Sie mußte Victor verlassen.
Plötzlich fühlten sich ihre Schultern wie von einem – nein, von dem massiven Felsbrocken befreit. Und zum erstenmal an diesem Abend konnte sie normal durch die Nase atmen, fühlte sie in der Kehle kein Würgen.
Victor trat auf sie zu.
»Wie lange willst du hier noch so herumstehen? Ohne mit einem Menschen auch nur ein Wort zu wechseln?«
»Ich habe nachgedacht«, sagte sie.
»Worüber?«
Sie schüttelte den Kopf. »Erzähl ich dir später. Jetzt ist nicht die Zeit dazu.«
»Eine Zeit ist so gut wie die andere.«
Sie blickte ihm in die Augen. Sie wirkten sehr blau und überraschend sanft. Vielleicht war dies in der Tat der richtige Zeitpunkt. Er schien entspannt, und ihr würde er kaum vorwerfen können, daß sie aus einer Laune heraus handelte – oder? Sie wußte es nicht. Doch plötzlich war ihr das alles gleichgültig. Er hatte auf eine Antwort gedrängt. Er sollte sie haben.
»Ich meine, wir sollten uns scheiden lassen.« Die Worte klangen leise, fast sanft; dennoch besaßen sie Kraft. Jene Kraft stiller Überzeugung, die man besitzt, wenn man sich einer Sache absolut sicher ist.
Augenscheinlich spürte er das sofort. Er stellte keine einzige Frage. Kein »Was?« kam über seine Lippen und kein »Wie?«.
Schweigend standen sie einander gegenüber, sekundenlang.
»Ich liebe dich«, sagte er schließlich.
»Das tust du nicht«, erwiderte sie.
»Bitte, sag mir nicht, was ich empfinde«, erklärte er mit einem Anflug von Schärfe in der Stimme.
»Tut mir leid«, versicherte sie. Nur wenige Sätze hatten sie gewechselt, und schon tat es ihr leid. Aber er hatte natürlich recht. Sie mochte es auch nicht, wenn ihr unterstellt wurde, daß sie dies oder das empfand. Also wäre es ihm gegenüber nur fair, wenn sie solche Behauptungen unterließ.
Gottverdammt noch mal! beschimpfte sie sich selbst. Mußte sie denn bei jeder kleinen Äußerung erst diese quälerische Selbstprüfung vornehmen? »Tut mir leid, Victor, aber
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